Nach »Die Drift« (Bureau B, 2021) erscheint mit »Kenne Keine Töne« nun das zweite Studioalbum der in Wien lebenden Künstlerin Conny Frischauf. Zwischen Pop und Experiment begibt sie sich auf die Suche nach dem Momenthaften, den Übergängen und sonorischen Schwellenräumen und schafft so mit »Kenne Keine Töne« ein faszinierendes Klanglabor, das uns einlädt, unsere Hörgewohnheiten neu zu adjustieren.
»Wo ziehen die Wolken hin. Habens eilig oder was. Fliegen hurtig nach drüben. Kann ich hier auch nicht verübeln. Also schau ich ihnen zu. Und setze mich gleich drauf. Und merke erst am Boden. Ist doch kein Wattebausch« – singt die Wiener Künstlerin Conny Frischauf in dem Eröffnungstrack ihres zweiten Albums »Kenne Keine Töne«. Die Dinge um uns herum sind nicht so, wie wir sie sehen, und so führt sie uns in ihr synästhetisches Klanglabor, wo sie Steine, Wind, Wasser und andere Phänomene als Schallereignisse akusmatisch erforscht und gepaart mit zarten Pop-Anleihen hörbar und zu wahren Wunderstücken macht.
In den sechzehn Stücken ihres aktuellen Albums spielt Frischauf mit unseren Sinnen. Fieldrecordings, sorgfältig mikrofonierte Perkussionsinstrumente, Aerophone, Händeklatschen sowie heimelige Synthiesounds werden auf diesem Album zu fein ausbalancierten Antagonisten, die sich tief in unsere Gehörgänge graben. Im Innenohr angekommen beginnt die Musik uns zu kitzeln, uns anzustoßen, uns von Innen haptisch zu berühren, dass wir an unsere Ohren fassen, sie mit unseren Händen betasten möchten, um uns zu vergewissern, und uns fragen: Ist es denn möglich, sich auf beiden Seiten des Hörtrichters gleichzeitig zu befinden? Frischaufs Musik ist nicht nur hörbar, durch den Hörsinn wird sie haptisch und auf dem Track »Düfte« sogar olfaktorisch spürbar.
In Frischaufs Texten und der Musik geht es nicht um klare lineare zeitliche Abfolgen, sondern um das räumliche Zusammenkommen mehrerer möglicher Bedeutungen. Diese Eigenständigkeit wollte Frischauf den Klängen und Ideen auf dem Album zugestehen. Hörbar wird dieses Ansinnen auf dem zart angedubbten Stück »Schall und Schwer«, das uns in einen melancholischen Strudel zieht: »Schleift sich ein. Dunkt sich rein. Kommt zu mir. Will zu dir« – Frischaufs Gesang überschlägt sich mitreißend vor der synkopierten Basslinie, textlich das Verhältnis von Stärke und Verletzlichkeit auslotend, bevor das Stück schließlich mit synthetisierten Snaredrums ausklingt, die möwengleich um das Geschehen kreisen.
»Bisschen Träumen« wird angestimmt von einem monotonen Piepton, das Besetztzeichen eines Telefonapparats vielleicht, der sich vervielfältigt und sich schließlich zu einer konzertanten Warteschleifenmusik entfaltet – eine mit Sehnsucht, Träumen und Lakonie bestückte hyperreale muzakalische Echokammer.
Auf »Kreise«, »Test« und »Nordwestwind« richtet sie ihre gedankenversunkene Sicht nach Außen: »Nordwestwind schlägt die Ohren steif. Wir verbrennen in der Mitte. Fallen in die Donau rein. Sie ist warm wie eine Suppe. Sitzen wieder am Kanal. Werden wieder zwangsbeschallt. Sagen nichts und meinen viel. Fliegen hoch im Karussell«, Frischaufs Stimme verquickt mit von hypnotischem Umgebungsnoise, onomatopoetischen Vocals und pulsierenden Beats.
Auf dem Stück »Röte« konzertiert ein hemmungsloses polyphones Ensemble aus luftdurchströmten Blockflöten, die an Muschelhörner erinnern. In dadaistischer Manier trotzt Frischauf allgemeiner Pflichterfüllungen (»M«) und macht auf dem Stück »Zwei Minuten« tradierten experimentellen Ruhe-Kompositionen Avancen. Wie in Trance spürt sie den melodischen Eigenschaften von Perkussionsinstrumenten nach (»Interlude«) oder schenkt uns auf dem Stück »Nichts« ihre bare Stimme, die sich – begleitet vom nackten Hintergrundrauschen – dem Terror des reizüberfluteten Alltags entzieht.
Es ist die Reduktion, die ein gewisses Understatement auf »Kenne Keine Töne« zum Schwingen bringt, und doch verbirgt diese Zurücknahme nur Frischaufs klangspielerische Leidenschaft. Bei so vielen Ideen ist es ein kleines Wunder, dass das Album so persönlich, lässig, und melodisch bleibt und seinen ganz eigenen Groove entwickelt, der das Publikum an einigen Stellen zum Tanz bittet. Conny Frischaufs Musik bohrt tiefe Löcher in die erstarrten Wände unserer Hörgewohnheiten und nährt die eigentlichen Bedürfnisse unserer Trommelfelle.
– Chrizzi Heinen