„Können Lieder Freunde sein?“ ist das zweite reguläre Album des großen Un-Ironikers Michael Girke und seinem Projekt JETZT!, der „besten vergessenen deutschen Band“ (Tagesspiegel). Auf seinem neuen, von Thomas Wenzel (Die Goldenen Zitronen, Die Sterne) produzierten, Album treffen sich Style Council und Franz-Josef Degenhardt, Weimar und Herford, Pop und Politik sowie Leben und Tod. Songs wie „Hilf dem Widerstand“ oder „Ein Hoch der Distanz“ bekräftigen erneut das Verdikt welches bei Spiegel Online über Girkes bisheriges Werk gefällt wurde: „Michael Girkes Musik und seine Texte sind von einer strahlenden Intelligenz"
JETZT!
Als 2019 mit „Wie es war“ das erste ‚richtige‘ Album von JETZT! veröffentlicht wurde, war die Band des Herforders Michael Girke bereits für mehr als zwei Jahrzehnte eine der wichtigsten unbekannten Gruppen des Landes. JETZT! gilt heute als Wegbereiter für die Hamburger Schule, die zum Gutteil Girkes westfälische Weggefährten - Frank Spilker (Die Sterne), Jochen Distelmeyer (Blumfeld), Bernadette La Hengst oder Bernd Begemann – mitbegründeten.
Nachdem „Liebe in GROSSEN Städten“, die Zusammenstellung alter JETZT!-Lieder, vor fünf Jahren für Aufsehen sorgte und Girkes Songs auch über den Kreis von Kassettenlabel-Archäologen bekannt machte, veröffentlicht JETZT! nun mit „Können Lieder Freunde sein?“ das zweite Album der „Neuzeit“.
Wie bereits beim Vorgänger gelingt es Girke in Zusammenarbeit mit Thomas Wenzel (Die Goldenen Zitronen, Die Sterne) erneut, einen weiten musikalischen, kulturellen und politischen Bogen zu spannen. Lieder wie „Hilf dem Widerstand“ oder „Lass uns ein Gespräch sein“ sind Ostwestfalen-Soul, atmen den Geist von Stax bis Style Council.
Wenn Girke in „Rosa“ dagegen über Rosa Luxemburg und ihre Einkerkerung im Kampf für Frieden singt, dann gehen Assoziationen zu Franz-Josef Degenhardts „Sacco & Vanzetti“ nicht fehl.
„Im alten Berlin“ wiederum lässt die Streicher-Arrangements auch ins Atonale kippen und erzählt aus der Weimarer Republik, vom Berlin der 20er. Das Lied nimmt die Perspektive von jemandem ein, den man (wie etwa den vom Herforder sehr bewunderten Songschreiber Friedrich Holländer), in Deutschland nicht mehr wollte, den man in der Nazizeit vertrieb.
„Können Lieder Freunde sein?“ erzählt eine Geschichte von Bewusstseinszuständen, von existentiellen Situationen, von Momenten der Hoffnungslosigkeit und fragt, woraus man dennoch Zuversicht schöpfen kann. Dabei befasst Michael Girke sich auch mit Themenfeldern, die Popmusik diesseits von Leonard Cohen zu oft verdrängt: in „Dein Name sei Trost“ und „Ich rede oft mit meinen Toten“ das Älterwerden und die eigene Sterblichkeit, bei „Hilf dem Widerstand“ die Frage, inwieweit sich die wilde Romantik des jungen „Nieder mit den Umständen!“-Aufschreis im späteren Leben in eine Haltung übertragen und Zynismus vermeiden lässt.
Dass das Coverbild des Albums aus Alexander Kluges Film „Abschied von Gestern“ (1966 Gewinner des Filmfestivals in Venedig) stammt, ist also kein Zufall. Wenn die vertraute Welt zusammenbricht, nichts mehr ist, wie es war – woran kannst du dich dann halten? Wohin führt dein Weg auf der Brücke des Lebens?
Jahrzehnte nachdem Girke „Kommst du mit in den Alltag?“ gesungen hat, stellt er also immer noch die wichtigen Fragen.
Können Lieder wirklich Freunde sein? Wohl nicht alle, diese aber schon.
(Carsten Friedrichs)