Tipps zur Theaterspielzeit 2024 / 25
Der Herbst in Berlin bringt nicht nur bunte Blätter, sondern auch eine neue aufregende Spielzeit auf die Bühnen der Stadt. Theaterliebhaber:innen können sich auf eine Vielfalt an Premieren und Klassikern freuen, die in dieser Saison besonders hervorstechen. Ob zeitgenössische Dramen, innovative Inszenierungen oder moderne Klassiker – hier erfährst du, welche Stücke du in der neuen Berliner Spielzeit nicht verpassen solltest. Entdecke die Highlights, die die Bühnen der Hauptstadt zum Leuchten bringen! ✨
Premieren zur Theaterspielzeit Berlin 2024 / 25
Kein Stress, wenn du eine Premiere verpasst hast: Auf unserer Seite findest du alle Termine.
Los días afuera / The Days Out There
Los días afuera / The Days Out There ist Musical, Variété, Dokumentation und Theater. Eine Gruppe von cis und trans Frauen, die in verschiedenen argentinischen Gefängnissen inhaftiert waren, spielen Szenen ihrer vergangenen Jahre. Das reale Leben der Protagonist*innen wird zur Fiktion, in der sich ihre Biografien ab dem Zeitpunkt ihrer Entlassung miteinander verweben: Nacho wird Taxifahrer, Paula beginnt in einer illegalen Textilwerkstatt zu arbeiten, Noelia wird wieder zur Sexarbeiterin und setzt sich für die Rechte von trans Frauen ein. Theater, Tanz und Gesang werden zu Instrumenten, die ihnen helfen, sich eine Zukunft anzueignen. Die aber – so ist das eben mit der Zukunft – bleibt ungewiss. Lola Arias, die Trägerin des renommierten Internationalen Ibsen-Preises 2024, bewegt sich in Los días afuera / The Days Out There zwischen Voguing und Cumbia-Melodien – eine Ode an die Freiheit.
Kleiner Mann - was nun?
Das junge Elternpaar Pinneberg und Lämmchen hält an seiner Liebe und am Glauben an eine bürgerliche Moral fest – trotz Armut, Arbeitslosigkeit und sozialer Härte. Ihr Kampf um einen letzten Rest Würde endet am Rand von Berlin. Hans Fallada fasst seinen international erfolgreichen Roman, welchen er 1932 in Zeiten von höchster wirtschaftlicher und politischer Anspannung in Deutschland nur zensiert veröffentlichen konnte, so zusammen: "Ehe und Wehe von Johannes Pinneberg, Angestellter, verliert seine Stellung, bekommt eine Stellung, wird endgültig arbeitslos. Einer von sechs Millionen, ein Garnichts, und was der Garnichts fühlt, denkt und erlebt." Die Frage "Was nun?" wurde historisch von der Machtergreifung der Nationalsozialisten beantwortet. Die Frage, wie wirkungsvoll Menschlichkeit in einer Massengesellschaft sein kann, beantwortet Fallada mit einem utopischen Moment.Frank Castorf adaptiert die Ursprungsfassung des Romans für das Berliner Ensemble und setzt sie in Bezug zu autobiografischen Texten von Fallada, die er größtenteils im Gefängnis verfasste, wie etwa ein "Sachlicher Bericht über das Glück, ein Morphinist zu sein".
"The Hunger" von Constanza Macras | Dorky Park in der Volksbühne in Berlin
The Hunger erforscht den Exzess. Inspiriert von den historischen Ereignissen, die im Roman Der fremde Zeuge des argentinischen Schriftstellers Juan José Saer fiktionalisiert werden, folgt The Hunger den Erfahrungen europäischer Kolonisatoren in der Region des Rio de la Plata in Südamerika Anfang des 16. Jahrhunderts.Eine indigene Gruppe überfällt im Norden des heutigen Argentiniens spanische Kolonisatoren. Es gibt nur einen Überlebenden, er gliedert sich in die Stammesgesellschaft der Colastiné ein. Viel später wird er von den Spaniern befreit und bezeugt, reflektiert und erinnert seine Wahrnehmungen.
Das Schiff der Träume [fährt einfach weiter]
Die Diva ist tot! Testamentarisch hat sie verfügt, dass ihre Asche auf ihrer Geburtsinsel mitten im Meer verstreut werden soll. Eine bourgeoise Trauergemeinschaft macht sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit dem Luxusdampfer Gloria N. auf, der besten Opernsängerin aller Zeiten die letzte Ehre zu erweisen. An Bord ist die Crème de la Crème der Opernwelt. Die Expedition wird zur Irrfahrt durch das offene Meer mit ungewissem Ausgang. Fellinis bildstarkes Meisterwerk Das Schiff der Träume wird zur Groteske, wenn ein Sänger:innenwettstreit im glühenden Heizkeller vor der schwitzenden Arbeiterklasse stattfindet, eine blinde Prinzessin die Farben von Musik sehen kann, der Geist von Edmea Tetua aus der Totenwelt beschworen wird, ein Huhn von einem russischen Bass-Bariton in der Küche hypnotisiert und munter italienische Opernarien zur Versöhnung der Klassen und Kulturen gesungen werden. Fellinis filmische Parabel ist ein Totenoratorium für die Diva, deren Wiederkehr ersehnt wird in einer Welt, die von Kapitalismus, Globalisierung, Krieg und Werteverfall gezeichnet ist.
Blue Skies
Was wäre, wenn das Ende schon näher ist, als wir es wahrhaben wollen? Und es trotzdem niemand bemerkt? Cat und Todd führen ein angenehmes Leben, sie besitzen ein tolles Strandhaus in Florida, und als Vertreter für einen großen Rumkonzern kommt Todd gut herum und verdient mit Parties, auf denen zu Werbezwecken viel Alkohol getrunken wird, genug Geld, um Cat ein sorgloses Leben auch als wenig erfolgreiche Influencerin zu ermöglichen. Wären da nur nicht der steigende Meeresspiegel und die zunehmend häufiger vorkommenden Sturmfluten, dank denen der Tesla auf der Auffahrt ganz hässliche Rostblüten bekommt. Dass es so nicht weitergehen kann, daran wird Cat regelmäßig von ihrem Bruder Cooper ermahnt, dem als Insektenforscher in Kalifornien spürbar der Forschungsgegenstand verschwindet. An der sich anbahnenden Katastrophe haben schließlich auch zwei Königspythons in Cats Strandhaus ihren Anteil, und die zwangsläufige Apokalypse ist nicht mehr unumstößlich. Von der Spaltung einer Gesellschaft zwischen naivem Weiterso und apokalyptischer Schockstarre erzählt T.C. Boyle anhand einer Familie, die an Ost- und Westküste Amerikas durch einen Riss geteilt ist. Alexander Eisenach überträgt den Roman auf die Bühne – allerdings und ganz bestimmt ohne lebendige Schlangen.
Pick me Girls
"Ich bin nicht so wie andere Frauen", ist der typische Satz eines pick me girls. Wahrscheinlich haben das die meisten Frauen schon einmal gedacht. Nicht nur als maßlose Selbstüberschätzung der eigenen Individualität, sondern auch als Herabwürdigung des eigenen Selbst: nicht so schön, nicht so dünn. Besonders als Frau ist man von klein auf damit konfrontiert, bewertet zu werden: Der männliche Blick, das Begehrtwerden, ist die wichtigste aller Währungen. Wenn Aufmerksamkeit und Anerkennung von Männern das höchste Gut für eine Frau ist, dann erklärt man sie gerne zum pick me girl. In ihrem sehr persönlichen Essay "Pick me Girls", den sie gemeinsam mit der Regisseurin Christina Tscharyiski auf die Bühne bringt, erzählt Sophie Passmann von eben diesem männlichen Blick und wie er sie geprägt hat, von den Idealen und Bildern, mit denen sie aufgewachsen ist und von der "Frau, die ich eigentlich geworden wäre."Sophie Passmann, 1994 geboren, ist Autorin und Moderatorin. Sie schrieb Bücher wie "Alte weiße Männer" und "Komplett Gänsehaut", die wie auch "Pick me Girls" Bestseller wurden und schreibt außerdem für das Feuilleton der ZEIT. Mit "Pick me Girls" gibt Sophie Passmann am Berliner Ensemble ihr Theaterdebüt.
Glaube, Geld, Krieg und Liebe
Robert Lepage entwickelt ein neues Stück mit Spieler_innen aus dem Ensemble der Schaubühne. Zu Beginn der Proben gab es keinen Text, keine Geschichte, keine Figuren, nur einen Gegenstand: ein Kartenspiel. Die vier Kartenfarben Herz, Kreuz, Pik und Karo ordnet er der Liebe, dem Glauben, dem Krieg und dem Geld zu. Aus den Karten, ihren Farbfamilien, Figuren und Zahlen entstanden in Improvisationen ganze Welten, unterschiedlichste Figuren und vier miteinander verwobene Handlungsstränge, die sich über acht Jahrzehnte deutscher Geschichte erstrecken. Sie erzählen von Liebe, vom Suchen nach Glück und der Versuchung durch den Teufel, von Hoffnung, Schicksal und Trauma. Kriege markieren immer wieder eine Zäsur, ein Ende und den Neubeginn einer weiteren Geschichte: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wird ein Baby in einem Nonnenkloster abgegeben und wächst dort auf, um, kaum erwachsen, die junge Bundesrepublik in Richtung Paris zu verlassen. Als sie selbst Zwillinge bekommt, prophezeit ihr eine Tarot-Kartenlegerin Unheil und rät, die Kinder wegzugeben. Kurz nach dem Mauerfall und dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges verbringt ein westdeutsches Paar den Valentinstag in Baden-Baden. Weil man im Casino rauchen darf, verschlägt es die Ehefrau dorthin, wo sie das Glücksspiel für sich entdeckt und das unheilvolle Erbe ihrer Familie verspielt. Ein Soldat mit posttraumatischen Belastungsstörungen erzählt seiner Therapeutin davon, wie er seinen treuesten Kameraden bei einem Einsatz in Afghanistan verlor – einen Diensthund, engster Begleiter und doch aus Sicht des Militärs im Ernstfall nur Teil der Ausrüstung. Und kurz vor Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine möchte sich ein schwules Paar seinen Kinderwunsch mit einer Leihmutter erfüllen. Robert Lepage wurde 1957 in Québec geboren, wo er bis heute lebt. Mit Inszenierungen für Theater, Oper, Zirkus sowie Filmarbeiten, zählt er seit mehr als drei Jahrzehnten zu den weltweit bedeutendsten Geschichtenerzählern und Theatermachern der Gegenwart. 2022 widmete ihm das FIND einen Fokus und zeigte die legendäre Inszenierung »The Seven Streams of the River Ota« und sein viel beachtetes Solo »887«. Mit »Glaube, Geld, Krieg und Liebe« entwickelt und inszeniert er zum ersten Mal eine Arbeit mit dem Ensemble der Schaubühne.
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