Es gibt Dinge, die eine Stadt ausmachen. In Leipzig sind das nicht nur die Altbauten mit ihrem morbiden Charme, der Auwald, der sich wie ein grünes Herz durch die Stadt schlängelt, oder die unzähligen Fahrräder, die gefühlt an jeder Ecke rumstehen. Nein, es sind auch die Clubs – diese lauten, pulsierenden Orte, die den Rhythmus der Stadt vorgeben, an denen man sich verliert, wiederfindet oder einfach mal für ein paar Stunden alles vergisst. Doch genau diese Orte sind in Gefahr. Leipzig, einst Hotspot der Clubkultur und kreativen Freiräume, verliert Stück für Stück genau das, was es so einzigartig macht. Willkommen im Zeitalter des Clubsterbens. Und ja, verdammt, das tut weh!

Manchmal fühlt es sich so an, als ob wir eine Stadt bauen, die zwar hübsch und durchgentrifiziert ist, in der aber niemand mehr wirklich leben will. Wo Wohnblocks an die Stelle von Tanzflächen treten, wo Clubs gegen Bürokratie und Baukräne verlieren und wo plötzlich jeder Nachbar zum Lärmschutzbeauftragten mutiert. Und bevor wir uns versehen, sind die Nächte hier genauso still wie anderswo – nur dass wir dann nicht mal mehr wissen, was wir eigentlich verloren haben. 

Hintergründe

Leipzig, die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands, boomt. Jahr für Jahr ziehen tausende Menschen in die Stadt, angelockt von vergleichsweise günstigen Mieten (zumindest bisher), einem lebendigen Kulturleben und diesem schwer zu definierenden „Leipzig-Vibe“, der irgendwo zwischen alternativem Freiraum und progressiver Aufbruchsstimmung liegt. Klingt nach einer Erfolgsstory, oder? Doch der rasante Aufstieg hat auch seine Schattenseiten – und die treffen ausgerechnet die Orte, die Leipzig so lebendig und einzigartig machen: seine Clubs. 

Es ist eine paradoxe Situation: Während immer mehr Menschen in die Stadt ziehen, verschwinden die Räume, in denen Begegnung und Gemeinschaft stattfinden können. Clubs wie die Distillery, das Institut für Zukunft (IfZ) oder das Conne Island, die lange als Aushängeschilder der Leipziger Clubszene galten, stehen unter massivem Druck. Wo früher Industrieflächen oder Zwischennutzungen Freiräume für Kreative und Subkulturen boten, entstehen heute sterile Neubauten, schicke Eigentumswohnungen und Einkaufszentren. Die Mieten steigen, die Pachtverträge werden kürzer, und die Clubs stehen plötzlich in Konkurrenz zu Großinvestoren mit wesentlich tieferen Taschen. Es ist kein fairer Kampf – und er spielt sich direkt vor unseren Augen ab.

Klar, es gibt die Leute, die jetzt denken: „Na und? Dann geh ich halt ins Theater oder ins Kino, wenn die Clubs zu sind.“ Das machen wir auch zu gerne, aber so funktioniert das nicht. Leipzigs Clubs sind nicht einfach nur Orte, an denen man sich die Nacht um die Ohren schlägt und am nächsten Morgen mit einem Kater im Bett liegt. Hier entstehen Ideen, die sonst keinen Raum finden. Hier werden Subkulturen sichtbar, die in einer zunehmend gleichgeschalteten Welt einen letzten Rückzugsort brauchen. Hier entstehen geschützte Räume, in denen Menschen die Freiheit finden, sich selbst auszudrücken. Themen wie Awareness, Inklusion und Diversität wurden in Clubs oft schon diskutiert und umgesetzt, bevor sie im Mainstream angekommen sind. Genau dort wurden schon LGBTQIA+-Partys veranstaltet, als viele andere noch nicht mal wussten, was das Akronym überhaupt bedeutet.

Leipzig hat sich immer durch seine kreative Szene definiert – von der friedlichen Revolution, die hier ihren Anfang nahm, bis hin zur elektronischen Musik, die auch Leipzig auf die globale Landkarte der Clubkultur katapultierte. Aber was passiert, wenn genau diese Räume verschwinden? Spoiler: Es wird langweilig. Steril. Austauschbar. Dann haben wir hier vielleicht bald die „schöne Stadt mit der kreativen Atmosphäre“, die in jedem zweiten Reisemagazin beschrieben wird – nur ohne die Menschen und Orte, die diese Atmosphäre überhaupt erst geschaffen haben. Denn die Kreativen, die Musiker:innen, die Clubbetreiber:innen, sie können sich das „schöne Leipzig“ oft nicht mehr leisten. Die steigenden Mieten und der enorme wirtschaftliche Druck drängen sie entweder in die Vorstädte oder gleich in andere Städte. Das Ergebnis? Leipzig verliert nicht nur Clubs, sondern auch das, was diese Stadt lebendig macht: ihre Seele.

© Pym Miten via Unsplash

Die Clubs

Leipzigs Clubs befinden sich in einer prekären Lage, die von außen oft unterschätzt wird. Was wie ein pulsierender Kosmos aus Bass, Lichtern und ausgelassener Stimmung erscheint, ist hinter den Kulissen ein ständiger Balanceakt zwischen finanziellen Herausforderungen, bürokratischen Hürden und gesellschaftlichem Druck. In einer Stadt, die für ihre lebendige Subkultur berühmt ist, kämpfen viele Veranstaltungsorte ums Überleben – und die Frage „Wie schaffen wir es bis nächste Woche?“ ist allgegenwärtig. Hier einmal ein paar aktuelle Beispiele:

Die Distillery – Opfer von Bürokratie und Baukränen

Die „Tille“, wie sie liebevoll genannt wird, war nicht nur irgendein Club, ein Ort, an dem Technofans aus ganz Deutschland den Bass fühlten. Und was passiert? Nach fast 30 Jahren muss sie weichen. Warum? Weil das Gelände in der Kurt-Eisner-Straße in ein schickes Wohnbauprojekt umgewandelt wird. Natürlich mit schickem Grünflächen-Konzept und garantiertem „urbanem Flair“ – also allem, was das Investorenherz höher schlagen lässt. Dass dabei einer der ältesten Technoclubs Deutschlands verdrängt wurde? Egal. Die Distillery hat lange gekämpft. Es gab Petitionen, Demonstrationen und unzählige Versuche, den Standort zu retten. Vergebens. Jetzt soll sie erstmal auf ein Interims-Gelände auf der Alten Messe umziehen, bevor sie irgendwann am „Gleisdreieck“ eine neue Heimat findet. Klingt nach einem Happy End? Nicht wirklich. Ein Umzug ist teuer, und ob die Tille ihr Publikum in den nächsten Jahren bei der Stange halten kann, bleibt fraglich. Wir hoffen es zumindest sehr!

Das IfZ – Finanzdruck und interne Konflikte

Das Institut für Zukunft (IfZ) war mehr als ein Club. Es war ein Safe Space, ein kultureller Hotspot, ein Vorzeigeprojekt für Safer Clubbing und Awareness. Aber auch das IfZ konnte dem wirtschaftlichen Druck nicht standhalten. Die Pandemie war der erste große Schlag – monatelange Schließungen, ausbleibende Einnahmen. Als die Türen endlich wieder aufgingen, fehlten pro Abend 100 bis 200 Gäste. Das mag für Außenstehende nach „First World Problems“ klingen, aber in der Clubszene bedeutet das: wirtschaftliches Ausbluten. Und als ob das nicht genug wäre, kamen noch interne Konflikte dazu. Diskriminierungsvorwürfe, politische Spannungen im Team und hitzige Debatten über die Ausrichtung des Clubs. Das alles führte dazu, dass der Laden zum Jahresende dichtmacht. Ein trauriger Abschied für einen Ort, der weit über Leipzig hinaus bekannt war. Wir werden euch vermissen! 

Das Conne Island – zwischen Boykott und politischem Druck

Seit Jahrzehnten ein Ort für Subkultur, politische Diskussionen und alternative Musik. Aber auch das Conne Island kämpft. Die Pandemie hat ein großes Loch in die Kasse gerissen, und jetzt gibt es auch noch Boykottaufrufe wegen der politischen Haltung des Clubs. Konzerte werden abgesagt, die Besucherzahlen sinken – und als wäre das nicht genug, drohen auch noch Förderkürzungen seitens der Stadt Leipzig. Der Vorwurf: „Ideologisch verengte Programmpolitik.“ Ein Club, der immer Haltung bewiesen hat, wird jetzt für seine Haltung abgestraft.

Goldhorn – der Gentrifizierungs-Klassiker

Dann gibt es da noch das Goldhorn, DIE Kneipe im Leipziger Osten, welche gleich mehrfach vom Pech verfolgt wurde. Erst wurde das Gebäude verkauft, dann kamen Sanierungspläne, steigende Mieten und schließlich die Kündigung. Aber damit nicht genug: Im Sommer 2024 wurde dann durch „mysteriöse“ Umstände  die Gasversorgung abgedreht, das Dach ohne Ankündigung abgedeckt – und als Krönung gab es auch noch Brandanschläge auf den Freisitz. Klingt wie aus einem schlechten Film, ist aber Realität.

Politische Entscheidungen

Wenn man denkt, schlimmer geht’s nicht, kommen die politischen Entscheidungen ins Spiel – und plötzlich wird klar: Doch, es geht schlimmer. Die Probleme der Leipziger Clubs, über die wir gerade gesprochen haben, sind nämlich nicht nur hausgemacht. Sie sind das Ergebnis eines politischen Flickenteppichs, der so löchrig ist, dass man sich fragt, wie überhaupt noch jemand kulturelle Arbeit leisten kann.

Deutschlandweite Kürzungen: Kulturlos in die Zukunft

Man könnte meinen, nach den Härten der Pandemie würde die Bundesregierung endlich verstehen, wie wichtig kulturelle Einrichtungen sind. Aber nein, 2025 stehen signifikante Kürzungen im Kulturbereich an, und die treffen ausgerechnet die, die ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand stehen. Die sechs Bundeskulturfonds, darunter der Musikfonds und der Fonds Darstellende Künste, sollen fast halbiert werden – von 34,3 Millionen Euro auf schlappe 18 Millionen Euro.

In Fakten sieht das so aus: 

Förderung für geflüchtete Kultur- und Medienschaffende? Gekürzt. 

Digitalisierung in der Kultur? Gekürzt. 

Aufarbeitung des Kolonialismus? Natürlich auch gekürzt. 

Und was bleibt für die Clubkultur? So gut wie nichts. 

Jetzt könnte man hoffen, dass Leipzig, die vermeintlich progressive und kreative Stadt, ihre Clubs besser unterstützt. Zwar gibt es Initiativen wie den NachtRat Leipzig, der sich für die Belange der Nachtkultur einsetzt, aber auch der hat immer wieder mit finanziellen Unsicherheiten zu kämpfen. Erst kürzlich stand die Koordinierungsstelle für Nachtkultur auf der Kippe, weil die Finanzierung auslief. Nur durch öffentlichen Druck wurde sie um weitere zwei Jahre verlängert. Immerhin ein kleiner Sieg, aber kein Grund, die Sektkorken knallen zu lassen – eher ein Moment, um kurz durchzuatmen.

© James Jeremy Beckers via Unsplash

Gesellschaftliche Veränderungen

Also, die Politik macht es den Clubs schwer – okay, das haben wir jetzt verstanden. Aber wenn wir ehrlich sind, spielen auch gesellschaftliche Veränderungen eine riesige Rolle. Denn das Clubsterben ist nicht nur eine Frage von Gesetzen und Fördermitteln. Es ist auch das Ergebnis einer Gesellschaft, die sich verändert hat – und zwar schneller, als die meisten Clubs mithalten können.

Inflation und geringe Kaufkraft: Tanzen oder Lebensmittel kaufen?

Die wirtschaftliche Realität in Leipzig und generell im Osten Deutschlands ist eine, die man nicht ignorieren kann. Zwar wachsen hier Städte wie Leipzig rasant, aber die Kaufkraft der Menschen hinkt im Vergleich zu anderen deutschen Städten noch immer hinterher. Und dann kommt die Inflation, die uns alle dazu zwingt, zweimal nachzudenken, bevor wir Geld ausgeben. Eintritt für den Club? 15 Euro. Zwei Drinks? Noch mal 20 Euro. Das macht schnell 35 Euro – und das, bevor man überhaupt daran denkt, wie man nach Hause kommt. Für viele ist das schlicht nicht drin, besonders in einer Stadt, in der die Löhne oft noch hinter dem bundesweiten Durchschnitt liegen.

Jetzt könnte man sagen: „Ja, dann müssen die Clubs eben günstiger werden.“ Klingt logisch, oder? Aber gleichzeitig explodieren die Betriebskosten: Mieten, Energiekosten, Personalkosten – alles wird teurer. Ein Club kann nicht einfach mal den Eintritt halbieren, ohne sich dabei selbst ins eigene Fleisch zu schneiden.

Willkommen im Teufelskreis: Die Gäste können sich den Clubbesuch nicht mehr leisten, also kommen weniger Leute. Und weniger Gäste bedeuten – richtig – weniger Einnahmen. Ein leerer Club ist unattraktiv, also kommen noch weniger Leute, und irgendwann bleibt nur noch die Option, die Türen endgültig zu schließen. Und wer verliert? Genau, alle.

Eins steht fest: Das Clubsterben ist kein isoliertes Phänomen. Es ist ein Symptom für größere Probleme. Leipzig, die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands, steht exemplarisch für diesen Wandel. Hier prallen die Widersprüche aufeinander: eine Stadt, die als kreativ und alternativ gilt, aber gleichzeitig Räume verliert, in denen genau diese Kultur entstehen kann. Eine Gesellschaft, die sich nach Gemeinschaft sehnt, aber gleichzeitig durch steigende Kosten und Individualisierung immer weiter auseinanderdriftet. Und eine Politik, die zwar von Vielfalt und Innovation spricht, aber oft nicht versteht, dass diese Dinge ohne Freiräume nicht möglich sind.

Und Jetzt?

So, Leipzig. Jetzt mal Tacheles. Wir stehen an einem Punkt, an dem wir uns entscheiden müssen: Wollen wir eine Stadt, die wächst, aber in ihrer Beliebigkeit versinkt? Oder eine Stadt, die lebendig bleibt, voller Kontraste, voller Geschichten, voller Räume, die für uns alle da sind – nicht nur für die, die sich eine schicke Neubauwohnung leisten können? Wir von Rausgegangen haben uns dafür entschieden, nicht einfach zuzusehen. Weil wir glauben, dass diese Stadt mehr verdient hat als ein paar Hochglanz-Broschüren mit dem Titel „Hypezig“. Leipzig ist keine Marke, es ist eine Stadt. Mit Menschen, mit Geschichten, mit einer Kultur, die sich nicht von allein hält. Wir sehen, was hier passiert, und wir sind nicht bereit, das hinzunehmen. Denn wir glauben: Wo gefeiert wird, wo getanzt wird, da lebt eine Stadt. Und ohne das wird es still – zu still.

Es klingt abgedroschen, aber es ist die Wahrheit: Kultur braucht Support. Und zwar nicht nur dann, wenn die Lieblingsparty droht, auszufallen. Sondern immer. Wir bei Rausgegangen tun genau das: Wir geben den Clubs und Veranstaltungen die Bühne, die sie verdienen. Wir sorgen dafür, dass diese Orte sichtbar bleiben – für alle, die sie lieben, und für alle, die sie vielleicht noch entdecken wollen. Aber wir können das nicht alleine tun. Wir brauchen euch. Ja, genau euch da draußen, die jetzt gerade diesen Artikel lesen. Geht raus. Kauft Tickets. Supportet die Bars, die Veranstaltungen, die Konzerte. Teilt, was euch gefällt, erzählt euren Freund:innen davon. Macht euch sichtbar – genauso, wie wir es für die Clubs tun. Denn ja, wir können noch so viele Artikel schreiben und Aktionen starten – am Ende zählt, dass du rausgehst.

Du merkst schon, es geht um viel mehr als nur Clubs. Es geht darum, welche Art von Stadt Leipzig sein will. Wollen wir ein Leipzig, das für seine Kreativität, Vielfalt und seinen Gemeinschaftssinn bekannt ist? Oder wollen wir ein Leipzig, das sich irgendwann nur noch durch steigende Mietpreise und Investorenprojekte definiert? Die Antwort darauf liegt bei uns allen. Wir bei Rausgegangen glauben an dieses Leipzig. An ein Leipzig, das nicht nur wächst, sondern auch lebt. An ein Leipzig, das nicht nur baut, sondern auch bewahrt. Und vor allem an ein Leipzig, das für seine Nächte genauso berühmt ist wie für seine Tage.