von Wolfram Höll
Ist das wirklich eine gute Idee? Den Verlust der Frau dadurch kompensieren, dass man, die neugeborene Tochter und die alte Großmutter im Gepäck, vom urbanen Flachland ins Hochgebirge flüchtet, zum Herkunftsort der Verlorenen? Der Trauer entgegenflüchten, sozusagen? In die Schweizer Alpen, wo die Häuser, die Alten, die Felder die Erinnerung an die Verlorene bewahren, so wie sie überhaupt verschiedene Zeitschichten in sich tragen? Wo die letzten alternden Einwohner in den Nischen des Berges hocken, wie ihre Häuser, gedrungene Beobachter aus Stein und Lärchenholz, misstrauisch alles Neue an sich abgleiten lassend? Wo den Verstorbenen ein Platz vor dem Hauseingang freigehalten wird, wenn sie einmal jährlich mit dem „Gratzug“ vorbeikommen?
Gute Idee oder nicht, jedenfalls tritt das trauernde Trio aus Wolfram Hölls neuestem Stück diese Reise an und wirft sich in eine geballte Fremdheitserfahrung, in der sprachliche Hürden noch die kleinsten Hindernisse sind. Ganz verloren der Vater, der nicht nur dem Dorfbewusstsein beweisen muss, dass ein alleinstehender Mann sich um ein kleines Kind kümmern kann; das Kind, das die Augen aufmacht, um den lauernden Häusern in dieselben zu schauen, die Oma, die durch Beharrlichkeit sich einen Platz auf der Bank erobert und dadurch symbolisch die soziale Anerkennung. Bei aller Sprachlosigkeit findet die kleine Trauergemeinschaft zu einem Miteinander durch Gesten, zur Begegnung im Angesicht der Sterne — und vielleicht wird am Ende nicht alles, doch manches gut.
Spielstätte: Diskothek
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