Willkommen beim 99 Questions Gathering – einem Event, das sich sich der Eingrenzung auf ein einzelnes Thema entzieht und stattdessen die Vielfalt an Stimmen und Perspektiven feiert. Während des 99 Questions Gathering werden zwei voneinander unabhängige und doch in ihrem Anspruch verbundene Projekte vorgestellt, die in den vergangenen zwei Jahren im Fokus von 99 Fragen standen: Textiles Semillas: Ein lebendiges Projekt des Webens und Brückenbauens und South-to-South: Ein Austausch zu afrikanischen und afro-diasporischen Technologien.
Kuratorische Herangehensweise und Nodes
Im Zentrum unserer kuratorischen Arbeit stehen von uns als „Nodes“ (eng. „Knoten“ oder „Verflechtung“) bezeichnete Momente der Aktivierung und des Zusammentreffens, in denen Fäden aufgegriffen und verknüpft werden, Erinnerungen aufleben, oder Knoten bewusst gelöst werden. Ähnlich wie Knoten, die sich öffnen und wieder zusammengebunden werden können, ist Wissen in ständigem Fluss; es kann sich entfalten oder neu zusammensetzen, Überzeugungen können sich wandeln und frisches Wissen kann sich festigen. Dieses Verständnis von Wissen ist inspiriert von Noden (Verbindungspunkte) in Netzwerksystemen (etwa Informations- und Kommunikationsnetzwerke): je mehr Nodes (oder „Netzwerkknoten“) existieren, desto stabiler ist das Netzwerk.
Postextraktivismus und Pluriversum
Im Kontext von 99 Fragen repräsentieren die Nodes (hier als Forschungsknoten zu verstehen) die Verpflichtung zu einer nachhaltigen und langfristigen Zusammenarbeit, die sich auf kollektiven Wissensaustausch und gemeinsames Lernen konzentriert. Lokalspezifische Fragen werden gemeinsam von lokalen und internationalen Teilnehmenden vor Ort diskutiert, wodurch mögliche Verbindungen und Parallelen offenlegt werden. Indem wir uns in diesen In-Situ-Auseinandersetzungen gemeinsam die Pluralität und Vielschichtigkeit von situiertem Wissen anerkennen und uns darauf einlassen, wirken wir einer universalistischen Vorstellung von Wissen entgegen. Es ist für unsere Praxis unabdingbar, im Sinne eines anti-extraktivistischen Ansatz zu agieren, eine Art der Zusammenarbeit zu praktizieren, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Beteiligten und Partner*innen eingeht, und mögliche Formen der Kollaboration auszuloten.
Research Nodes „South-to-South“ und „Textiles Semillas“
Das Gathering ist eine Einladung, sich mit den Nodes, die sich bereits geformt haben, auseinanderzusetzen, gemeinsame Erkenntnisstrukturen zu weben und eine neue Wissenspraxis erschaffen. Von einem Talk über Andean Information Age („Informationszeitalter der Anden“) von Oscar Santillán bis hin zu einer kollaborativen Textilinstallation der Union Textiles Semillas (ein Zusammenschluss von Weberinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen aus dem Norden von Argentinien), die sich mit dem Verständnis von Technologien, Kosmologien und der verkörperten Praxis des Webens auseinandersetzt, bietet das Treffen eine Bandbreite an faszinierenden Veranstaltungen und künstlerischen Offenbarungen.
Mit "Textiles Semillas: Ein lebendiges Projekt des Webens und Brückenbauens und South-to-South - Ein Austausch zu afrikanischen und afro-diasporischen Technologien" treffen während dieser vielstimmigen Veranstaltung zwei einzigartige Projekte mit einer gemeinsamen Message an das Pluriversum aufeinander – vereint in dem Anspruch, Vielfalt, Wertschätzung und unterschiedliche Perspektiven zu feiern.
Textiles Semillas: Ein lebendiges Projekt des Webens und Brückenbauens
Das künstlerische Projekt Textiles Semillas entstand mit dem Ziel, durch Austausch über Themen rund um Webetechniken und die kulturspezifische Bedeutung dieses Handwerks Brücken zu schlagen. Über die Zeit entwickelte sich daraus ein Bündnis aus Weberinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen. Die Union Textiles Semillas (ein Zusammenschluss von Weberinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen aus dem Norden von Argentinien) vereint mittlerweile 300 Weberinnen aus zwölf nord-argentinischen Kollektiven. Die generationenübergreifende Gemeinschaft, die von einer ebenso altersdiversen Gruppe Frauen im Rahmen des Projekts Textiles Semillas ins Leben gerufen wurde, fördert neue Ansätze des gemeinsamen und interkulturellen Schaffens und Lernens. Dieser Ansatz konkretisiert sich in gemeinsamen Arbeiten, in denen sich Bedeutungen neu zusammensetzen und Gemeinschaft als bewusst gelebte Praxis verstanden wird.
In der ersten Phase des Projekts Anfang 2023 fand eine Reihe an als Pilgerfahrten bezeichneten Unternehmungen statt. Während dieser Reisen, die die Teilnehmerinnen durch Gebirge, Täler und Schluchten führten, wurden die Communities der beteiligten Kollektive besucht: Randeras de El Cercado (Monteros, Tucumán), Warmipura (Tafí del Valle, Tucumán), Cooperativa La Pachamama (Amaicha del Valle, Tucumán), Tejedoras de Quilmes (Quilmes, Tucumán), Tinku Kamayu (Santa María, Catamarca), Mercedes Cardozo de Achalay Tejidos (Niogasta, Simoca, Tucumán), Teleras de Atamisqui (Atamisqui, Santiago del Estero), Teleras de Huilla Catina (Huilla Catina, Santiago del Estero), Tejedores Andinos (Huacalera, Jujuy), Flor en Piedra (Caspalá, Jujuy), Flor de Altea (Santa Ana, Jujuy) und Silät (Santa Victoria Este, Salta). Die Koordination der Treffen vor Ort und die Kommunikation mit und zwischen den Weberinnen übernahmen als Teil des kuratorischen Teams Andrei Fernández und Alejandra Mizrahi.
Textiles Semillas öffnet den Raum für Austausch sowohl über die eigentlichen Webtechniken als auch über die rituelle Dimension des Webens – einer Aktivität, die fundiertes Wissen über die komplexen Muster in den Textilien voraussetzt. Die Körperbewegungen, die die Fäden zu Stoffen zusammensetzen, gleichen einer Choreographie, während in den Mustern selbst Vorstellungen von Verkörperung, Territorium und Materialität verhandelt werden.
So wie ein Setzling, aus dem eine Pflanze erwächst, ein Sinnbild für Veränderung und Bewegung ist, soll unser Projekt eine Einladung sein, über Verbindungen zwischen unterschiedlichen Welten und Lebensrealitäten, über neue Möglichkeiten der Kollaboration, der Bewahrung und Ermöglichung von Wünschen und über gemeinschaftliches Wachsen nachzudenken. Innerhalb dieses Bündnisses hat sich eine internationale Forschungsgruppe gebildet, bestehend aus Individuen, die die Rolle von Sembradoras (span. Säer*innen oder Einpflanzer*innen) einnehmen und die sich der Pflege und dem Wachstum von Textiles Semillas verschrieben haben: Gabriela Cisterna, Celeste Valero, Milagros Colodrero, Fernanda Villagra Serra, Claudia Alarcón, Anabel Luna, Carla Abiles, Tatiana Beltomonte, Clara Johnston, Santiago Azzati, Victoria Pastrana, Alina Bardavid, Alvaro Simon Padrós. Einige der Sembradoras sind Repräsentant*innen der Weberinnengruppen.
PROGRAMMÜBERSICHT
25.10.2024 17:30 bis 19:00 Uhr, Saal 2
Eröffnung: 99 Questions Gathering: on the Poetics of Loose Ends
Begrüßung mit Herrn Dorgerloh & Herr Koch
Research-Nodes: Textiles Semillas und South-to-South
Gruppenpräsentation
Mit: Sara Garzón, Patrick Mudekereza, Alejandra Mizrahi, Andrei Fernández, Michael Dieminger
Moderation: Jean Kamba
20:00 bis 21:00 Uhr, Saal 2
Infrastrukturen für post-extraktivistische Zukünfte - Gesprächsrunde
Diese Gesprächsrunde lädt dazu ein, den Extraktivismus nicht nur als Praxis, sondern als Logik zu verstehen, die die Moderne und ihre Institutionen prägt. Wir möchten untersuchen, wie Museen und Kulturinstitutionen als Orte des „Pluriversums“ neu gedacht werden können – als Räume, in denen viele Welten gleichzeitig existieren und miteinander verbunden sind. Welche Infrastrukturen brauchen wir, um extraktivistische Prinzipien zu überwinden? Welche neuen Dialoge und Finanzierungsformen sind nötig, um lokale Bedürfnisse und Gemeinschaften zu stärken und andere Formen des Seins und Wissens zu ermöglichen?
Mit: Ba Taonga, Julia Kaunda-Kaseka, Gründerin und Direktorin von Modzi Arts in Lusaka
Andrei Fernandez, freischaffende Kuratorin und interkulturelle Vermittlerin aus dem Norden Argentiniens, Sara Garzón, kolumbianische Kuratorin und Kunsthistorikerin aus New York
Jean Kamba, Journalist und Kunstkritiker aus Kinshasa (Moderation), Michael Dieminger, Kurator von 99 Questions im Humboldt Forums in Berlin, Patrick Mudekereza, Direktor des Centre d’art Waza in Lubumbashi
- kostenfrei
- Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch
- Ort: Foyer, Saal 2, EG
- Teil von: 99 Fragen