VON DER MODERNE BIS ZUR GEGENWART
SAMMLUNGSPRÄSENTATION
AB 23.4.23
ABENTEUER ABSTRAKTION zeigt einen bedeutenden Teil der Sammlung des Sprengel Museum Hannover wieder dauerhaft: 19 Räume widmen sich abstrakter Kunst von der Moderne bis heute. Herzstücke sind die Nachbauten von Kurt Schwitters‘ Merzbau und El Lissitzkys Kabinett der Abstrakten. Im Zwischengeschoss öffnet darüber hinaus ein Bereich, der Kunst und Künstler*innen in Hannover im Nationalsozialismus in den Blick nimmt. Mit der eigens für das Sprengel Museum Hannover konzipierten Arbeit „Unter dem Strand“ von Lotte Lindner und Till Steinbrenner kommt zudem ein besonderer Ankauf des Young Circle ins Haus.
ABENTEUER ABSTRAKTION
Mit ABENTEUER ABSTRAKTION zeigt das Sprengel Museum Hannover wieder dauerhaft einen bedeutenden Teil seiner Sammlung in den brandschutzsanierten Räumen im Untergeschosses. Die Ausstellung, kuratiert von Isabel Schulz und Julius Osman, spiegelt die Qualität und Vielseitigkeit der hauseigenen Sammlung und bietet einen Überblick über wichtige Ausprägungen und Entwicklungen gegenstandsfreier Kunst vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute sowie Werke aus verschiedenen Gattungen und Medien: Malerei, Skulptur, Grafik, Foto und raumgreifende Medienkunstwerke und Filme vereint „Abenteuer Abstraktion“ in bisher nicht da gewesener Ordnung.
Kuratorin Isabel Schulz: „Die Ausstellung, die unsere Sammlung neu sortiert, richtet den Blick auf die wesentliche Errungenschaft der Moderne: die Befreiung der Kunst von einer abbildenden Funktion. Welchen immensen Spielraum die Abstraktion für neue Fragestellungen und für individuelle Formensprachen bot – und nicht zuletzt, welche Bedeutung Hannover für ihre Entwicklung besaß – kann unser Publikum hier erleben.“
Die neue Sammlungspräsentation zeigt, was in der Kunst seit Beginn des letzten Jahrhunderts an die Stelle der Naturnachahmung getreten ist. Sie fragt, welche Beweggründe, Fragen und Probleme Künstler*innen beschäftigten, die nicht mehr gegenstandsbezogen arbeiteten und dennoch innerhalb der Zeitgeschichte agierten. Dabei gehe es nicht um die Erzählung einer vollständigen Entwicklungsgeschichte abstrakter Kunst, befindet Isabel Schulz, sondern um die Vermittlung einer Vorstellung von einzelnen Jahrzehnten und einflussreichen Bewegungen und Tendenzen.
Ausgangs- sowie Mittelpunkt des Rundgangs sind die Nachbauten von El Lissitzkys Kabinett der Abstrakten (1927) und Kurt Schwitters‘ Merzbau (1933). Beide Räume, die ehemals in Hannover existierten, verkörpern einflussreiche Etappen der abstrakten Kunst und ermöglichen ein unmittelbares Erlebnis des Zusammenspiels von Farbe und Form.
Für die Klassische Moderne stehen neben prominenten Werken von Schwitters und Lissitzky unter anderem Arbeiten von Piet Mondrian, Hans Arp und Paul Klee. Aus der Nachkriegszeit stammen Werke von Willi Baumeister, Pierre Soulages und K.O. Götz. Sie leiten über zu zeitgenössischen Künstler*innen, darunter Pia Fries, Pipilotti Rist und Wolfgang Tillmans. Zu entdecken sind neben einem grafischen Kabinett auch raumgreifende Medienkunstwerke sowie abstrakte Filme aus der Anfangszeit des Mediums.
„Dass das Sprengel Museum Hannover in der Kunstwelt international in der ersten Liga spielt, beruht nicht zuletzt auf den zahlreichen Hauptwerken von Protagonisten der Klassischen Moderne wie Nolde, Léger, Klee, Lissitzky und Schwitters, auf die Besucher*innen am Anfang des neuen Rundgangs treffen. Hinzu kommen essentielle Werke, die insbesondere durch die Kunststiftung Bernhard Sprengel und Freunde sowie die Niedersächsische Sparkassenstiftung ins Haus gekommen sind – darunter Arbeiten von John Baldessari, Norbert Prangenberg und Katharina Grosse“, sagt Kuratorin Isabel Schulz, die gemeinsam mit Julius Osman und in Teamwork mit den jeweiligen Spartenkolleg*innen des Museums die Ausstellung konzipiert hat.
NEUE ARBEIT VON JULIUS VON BISMARCK
Teil der neuen Sammlungspräsentation ist auch die raumgreifende Installation „One Solution Revolution“ von Julius von Bismarck, die von den Sprengelfreunden mit Unterstützung der Karin und Uwe Hollweg-Stiftung 2022 erworben wurde und nun erstmals präsentiert wird.
Reinhard Spieler, Direktor Sprengel Museum Hannover: „In Nachbarschaft zu El Lissitzkys „Kabinett der Abstrakten“ als Inkunabel der musealen Präsentation setzt Bismarck ein adäquates Statement für das Museum in unserer Gegenwart. Die Arbeit besteht aus Laufbändern, die einen unweigerlich ins Aus befördern, wenn man sich nicht selbst in Bewegung setzt. Auch im Museum muss man sich bewegen – betrachten allein reicht nicht.“
AKTIONSRAUM SETZEN STELLEN LEGEN
Gemeinsam mit Schüler*innen des 13. Jahrgangs der Tellkampf-Schule haben Künstler- und Kunstvermittler*innen anlässlich der Sammlungsneupräsentation „Abenteuer Abstraktion“ einen Raum, der zum Mitmachen einlädt und Möglichkeiten ungegenständlicher Gestaltung mit Farbe und Form vermittelt, konzipiert. Unterschiedliche Elemente laden hier zur Beschäftigung mit dem Thema Abstraktion – zum Setzen, Stellen und Legen – ein.
Idee, Koordination und Realisierung: Frank Rosenthal, Künstler; Jakob Spehr, Künstler und Lehrer Gymnasium Tellkampfschule Hannover, Gabriela Staade, Kunstvermittlerin Sprengel Museum Hannover; Anette Walz, Künstlerin; Videoproduktion: Tosh Leykum, Visuathlet
KUNST UND KÜNSTLER*INNEN IN HANNOVER IM NATIONALSOZIALISMUS
Im Zwischengeschoss des Museums öffnet ein weiterer Bereich, der grundlegend neu gestaltet wurde und auf den Recherchen einer Arbeitsgemeinschaft von Kurator*innen des Hauses beruht. Am Beispiel von neun Personen und entlang historischer Ereignisse beleuchtet die multimediale Dokumentation die Situation von Kunst und Künstler*innen im Nationalsozialismus.
Julius Osman, Kurator Sprengel Museum Hannover: „Die schmerzlichen Lücken, die die Diktatur gerissen hat, sind in einem Museum, das moderne Kunst zeigt, besonders spürbar. Mit dem neuen Ausstellungsbereich haben wir uns den zwölf Jahren der Gewaltherrschaft und ihren Auswirkungen auf das Leben ausgewählter Personen und Institutionen gewidmet. Nicht zuletzt wird hier auch die eigene Sammlungsgeschichte transparenter. Die ungewöhnliche Ausstellungsarchitektur von Karsten Weber und dem Team von neospektiv vermittelt zudem auf eindrucksvolle Weise, dass wir beim Blick auf die Geschichte Teil der Erzählung sind.“
Publikation
In der Reihe „Beiträge zur Sammlung“ erscheint der von Julius Osman herausgegebene Band XV unter dem Titel „Kunst und Künstler*innen in Hannover im Nationalsozialismus“. Die Texte beruhen auf den Wandtexten der musealen Präsentation, an der die Kurator*innen Annette Baumann, Karin Orchard, Julius Osman, Isabel Schulz (Redaktion) und Paula Schwerdtfeger beteiligt waren.
Ausstellungsgestaltung Zwischengeschoss: Karsten Weber Studio und neospektiv (Anne-Cathrine Mosbach, Lara Bechauf-Nguyen, Felix Obermaier), Düsseldorf
LOTTE LINDNER & TILL STEINBRENNER: UNTER DEM STRAND
Neben der Ausstellung ABENTEUER ABSTRAKTION wird zeitgleich eine neue Arbeit der hannoverschen Künstler*innen Lindner & Steinbrenner präsentiert. Für „Unter dem Strand“ hat das Duo einen Ort im Sprengel Museum Hannover gesucht und gefunden: Zwischen den Ebenen gelegen, war der im Museum auch als „Aquarium“ bezeichnete Vorführraum lange ungenutzt. Als Gegenentwurf zum White Cube finden Lindner & Steinbrenner den idealen Ort, um das, was ein Kunstmuseum erfüllen möchte, ad absurdum zu führen: Die Kunst ist lebendig, das Becken gefüllt, der Raum bewohnt – vom genügsamen Höhlenfisch Astyanax Jordani, der, weil er blind ist, nicht zur Betrachtung befähigt ist.
Lindner & Steinbrenner, Jahrgang 1971 bzw. 1967, sind nicht auf Medien oder Genres festgelegt. Oftmals setzt das Duo sich mit vorgefundenen Räumen und Räumlichkeiten auseinander. Räume sind für Lindner & Steinbrenner zugleich Ort und Material, mit denen es umzugehen gilt. „Unter dem Strand“ wurde angekauft vom Young Circle mit Unterstützung der Freunde des Sprengel Museum Hannover e.V
Kurator*innen ABENTEUER ABSTRAKTION: Isabel Schulz und Julius Osman