Wir haben ihn vergessen. Googelt man seinen Namen, stößt man auf einen Fußballverein, einen Haushaltsreiniger, einen Asteroiden, sogar auf einen Schützenpanzer – Ajax den Großen findet man erst viel später. Unter den griechischen Helden vor Troja ist Ajax nur der Zweitbeste, der Zweitstärkste, immer im Schatten des größten Griechen: Achill. Ajax fügt sich in seine Rolle und stellt seinen austrainierten Körper radikal in den Dienst der Sache. Am Ende ist er es, der Achills Leichnam und dessen mythische Rüstung vom Schlachtfeld birgt. Doch statt ihn für seinen Einsatz zu belohnen, verleihen die Griechen die Rüstung Odysseus, dem Rhetoriker mit dem Gewinnerlächeln in der Visage. Diese Kränkung erträgt Ajax nicht. Er läuft Amok. Ajax wird zum Schützenpanzer, zum Asteroiden, zum Haushaltsreiniger, der die Böden blutig schrubbt.
Doch ist es wirklich Ajax, der da mordet, oder walten hier andere Kräfte? Sind es nicht vielmehr die Götter (die ja nichts anderes sind als die Autoren), die Ajax’ Schwert führen, um uns zu zeigen, wohin Hybris immer führen muss? Denn nach der Raserei wartet die Scham. Eine bodenlose Scham, in die Ajax sich stürzt – und schließlich ins Schwert.
Ehrgeiz, Hybris, Demütigung, Scham. Vielleicht sollten wir Ajax in den Suchergebnissen früher begegnen, er hätte uns wohl einiges zu sagen. Christopher Rüping widmet seine neue Arbeit am Thalia Theater dem stolzen Vergessenen und erforscht gemeinsam mit seinem Ensemble den „Ajaxkomplex“ aus heutiger Perspektive.
Uraufführung 15. Januar 2025, Thalia Theater