Das sagt der/die Veranstalter:in:

Talent hat er ja, dieser Alligatoah. Umso erbärmlicher, dass er noch jeden progressiven Ansatz in einem infantilen Wortwitz, jede Hitmelodie in geschwollenschnulziger Theatralik und jede Bühnenshow in Kinderfaschings-Kokolores ertränkt hat. Wie klein muss das Ego eines Künstlers sein, der sich seit nunmehr fünfzehn Jahren hinter albernem Fäkalhumor, eingestaubten Wortspielen und grotesken Mittelalterkostümen verschanzt, bloß, um von seinem Innenleben abzulenken, keine Angriffsfläche zuzulassen? Und wie zur Hölle hat es Alligatoah überhaupt geschafft, trotz seiner provokant-belehrenden Texte und seinem überheblich-distanzierten Habitus im Radio stattzufinden, Headliner-Shows zu spielen, dank etlicher Gold- und Platinplatten in den Pop-Olymp aufzusteigen und mit seinem größten Hit »Willst Du« sogar fucking Diamant zu gehen?

»Rotz & Wasser« liefert Antworten auf diese Fragen, weiß die immer gleichen Argumente der Kommentarspalten-Hater und Feuilleton-Kritiker geschickt zu widerlegen. Dieses neue, inzwischen sechste Album präsentiert einen gereiften Alligatoah. Einen Alligatoah, der die über Jahre antrainierte Überheblichkeit bewusst kriseln lässt. Einen Alligatoah, der weniger ablenkt, überlädt, um Lacher buhlt. Einen Alligatoah, der den Nebel um einen gewissen Lukas Strobel bruchstückhaft lichten lässt. Es ist kein Zufall, dass Alligatoah schon für die Covers der Vorab-Singles im wahrsten Sinne des Wortes blankgezogen hat und sein Album-Artwork nun von einem arg in Mitleidenschaft gezogenen Päckchen dominiert wird, das er durch eine verregnete Szenerie wuchtet. »Rotz & Wasser« ist tatsächlich die erste Platte, auf der der 32- Jährige ureigene Gefühle offenbart, die echt zu sein scheinen - stellenweise sogar ohne jegliche Doppelbödigkeit. Eine Self-Care-Ballade, in der Alligatoah seinen Hörern geradeheraus ans Herz legt, auf das eigene Seelenheil Acht zu geben? Eine Zeile wie »ehrlich gesagt werd’ ich dich hart vermissen«? Das freimütige Versprechen im dramaturgischen Finale der Platte, bis an sein Schlusskapitel alles für sein Ungeborenes zu geben? Nein, sowas hätte es in früheren Phasen seiner Diskorafie nicht gegeben.

Wenn »Triebwerke« Alligatoahs ironisches Liebesalbum und »Musik ist keine Lösung« sein »Another Brick in the Wall« war, ist »Rotz & Wasser« nun das Gefühls- , das Drama-, das nur noch halb-ironische Liebes-, vielleicht das Empfindlichkeitsalbum. Definitiv ist es eine Symbiose aus den großen Themen unserer Zeit und der Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Verliebtsein, Trennungsschmerzen, Neuanfängen und emotionaler Fragilität. Gleichzeitig bietet »Rotz & Wasser« einen detaillierten Einblick ins Seeleninnere eines komplizierten Charakters, der sich mit Genre-Schubladen, ReisbrettMeinungen und Zeitgeist-Affekten generell schwer tut, sogar zu eigenbrötlerisch ist, um Posterboy irgendeines rebellierenden Movements sein zu wollen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: die Authentizität, die in Songs wie »Dunstkreis«, »Fuck Rock’n’Roll«, »Stay in Touch« oder »Nachbeben« schlummert, ist keineswegs mit einem Ende der permanenten Rollenwechsel, der Kalauer oder des Alligatoahtypischen Maskenballs zu verwechseln. All diese Spielereien sind immer noch wichtiger Bestandteil der DNA seiner Kunst - im Gegensatz zu früher scheint Alligatoah nur weniger intensiv auf die Suche nach dem guten Gag und der ultimativen Arschloch-Figur gegangen zu sein, die er kreativ zu persiflieren versucht.

»Rotz & Wasser« passt allein durch seine tendenziell versöhnlichen Ansätze gut in die Jetztzeit der großen Krisen. Kurioserweise sind viele Texte noch vor PandemieBeginn und überwiegend auf Reisen entstanden - Reisen, die Alligatoah alleine unternommen hat. Seit Beginn seiner Solokarriere - und das hat sich trotz der großen Erfolge nie verändert - fungiert er als Ich-AG, gibt die Zügel, selbst wenn es um Bühnenbilder, Artworks oder die Kostüm-Auswahl geht, niemals aus der Hand. Natürlich hat er auch »Rotz & Wasser« - wieder einmal - eigenhändig produziert, alle Instrumente selbst eingespielt und sämtliche Videos in Eigenregie konzipiert und geschnitten. Seinen kreativen Mindstate hat Alligatoah dennoch erweitert, hat Teile des visuellen Begleitwerks am Bauhaus in Dessau umgesetzt und neue Inspirationsquellen erschlossen. Dass sein Gitarren-Trap Liedermacher-esker denn je klingt, hat sicherlich damit zu tun, dass ihn die Musik von Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt und Reinhard Mey seit Kindheitstagen umgibt. Im Gegensatz zu früheren Alligatoah-Alben ist »Rotz & Wasser« kompakter und übersichtlicher gehalten, verzichtet vermehrt auf einheitliche Songstrukturen, ein klassisches Intro oder den obligatorischen in drei Einzelteile zerstückelten Klammer-Song.

Alligatoahs Erfolg ist kein Zufall, seine Kunst weit mehr als trivialer Klamauk, sein Witz ein effizientes Werkzeug zur Bewältigung von Weltschmerz und zwischenmenschlicher Verletzung. Alligatoah ist nicht nur ein Meister der hymnenhaften Melodien, des Spiels mit der eigenen Stimme und den Reimketten, die oft so gut sind, dass sie gar nicht als Reimketten auffallen - Alligatoah ist Meister der Zuspitzung, Meister der inhaltlichen Symbiosen, perfektionistischer Allrounder. Das ist er seit fünfzehn Jahren. Und doch ist ihm der Spagat zwischen weltpolitischen Problemlagen, scharfsinnigem Humor und humorlos-scharfsinniger Gefühlsebene noch nie so gut gelungen, wie auf seinem neuen Album »Rotz & Wasser«.

Location

LANXESS arena Willy-Brandt-Platz 3 50679 Köln

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