9. November - 15. Dezember 2024
GEHEIMES LAND
Rund zwölf % der gesamten Fläche der ehemaligen DDR waren Sperrgebiete. Sie waren alltäglich und überall präsent. Es gab rätselhafte Geschichten und Vermutungen über das, was in den Sperrgebieten stattfand und niemand sollte sie unerlaubt betreten. Die Folgen konnten fatal sein. Die NVA (Nationale Volksarmee) und die GSSD (Gruppe d. sowj. Streitkräfte) hatten die größten Flächenanteile. Nach dem Ende der DDR wurden die meisten von ihnen aufgelöst. Die stationierten Truppen zogen sich aus den Gebieten zurück. Landschaft blieb, die nun durch Munitionsreste und chemische Stoffe großflächig kontaminiert ist. Hunderte Hektar bodenverseuchtes Land, das zum Naturschutzgebiet geworden ist, weil kein Mensch gefahrenfrei dieses Land betreten kann. Betonierte Plätze und Wege, Gebäude, die verrotten, da sie der Natur überlassen wurden. Geschehenes wird überdeckt, Vergangenes wird zur Erzählung. Erinnerungen bleiben, Wahrheiten kommen zu Tage und werden wieder verdeckt. Es gibt kein klares Gut und Böse, aber es sind Dinge geschehen, die einem den Atem nehmen. Eine absolute Wahrheit ist nicht zu definieren. Zu viele verschiedene Wahrnehmungen lassen das Geschehene unscharf werden.
Für GEHEIMES LAND erkundete Anne Heinlein die ehemaligen Sperrgebiete der NVA und GSSD. Sie recherchierte in den Akten der Staatssicherheit der DDR, sprach mit Zeitzeugen und durchstreifte die Sperrgebiete. Dabei lief ich durch dichten Wald, vorbei an Wegen, still gelegten Bahndämmen, über ehemalige Truppenübungsgelände, kletterte in alte zum Teil verfallene Gebäude und Bunker, um Spuren zu finden. Weitläufige Areale, die wie ein eigenständiges Land undurchdringbar erscheinen. Dabei sind großformatige, schwarz-weiße Fotografien der Sperrgebiete entstanden. Bilder von bedingungslosem Wald, dichtem Gestrüpp oder Unterholz. Naturbühnen, die Räume aufmachen, die es zu füllen gilt und die Natur zeigen, die das Geschehene und deren Zeiten überdecken.
Daneben stehen farbige Fotografien von Oberflächen mit abgeblätterter Farbe oder alter Tapete, die in den verrotteten Bauwerken entstanden sind und als Spur von der vergangenen Zeit erzählen, Stillleben leerer Patronenhülsen, Essensbehälter oder Gasmasken, die zu Relikten werden, Reproduktionen aus schulischem Soldatenlehrmaterial, die von Kriegs- und Kampfstrategien erzählen und Dokumentationsbilder aus den Akten der Staatssicherheit der DDR, die vielfältige Berichte mit Tatortdokumentationen zeigen und von Soldaten erzählen, die mit Waffen in Bunkern und Panzern für den Ernstfall trainierten, um dazu ausgebildet zu werden, dem Staat im Krieg zu dienen. Sie wurden geformt, gedrillt und eingesperrt. Einige wurden verletzt, verunglückten und starben dabei, andere wurden erschossen. Die das nicht Aushalten konnten, nahmen sich das Leben. Andere veränderten sich, passten sich an. Wieder Andere übten Macht aus, die sie durch ihre Rolle innerhalb des Sperrgebietes erlangten und demütigten andere Menschen. Die Akten scheinen uferlos und waren damals streng geheim.
GEHEIMES LAND deutet auf verschiedenen Ebenen Menschen und ihre Schicksale an und lässt dabei keine genaue Verortung zu. Vieles bleibt rätselhaft und diffus. Bilder öffnen Türen und schließen sie wieder. Geschichten sind zu vermuten, ein Gefühl für die vergangene Zeit ist zu spüren. Wahrheiten werden in Bildern symbolhaft, andere Bilder widerlegen diese. Es ist ein Spiel mit verschiedenen Positionen, die alle Teil der historischen Wahrheitsfindung werden. So ist die Arbeit eine künstlerische Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte, mit militärischem Drill, der in scheinbarer Perfektion auf den großen Krieg vorbereitet, mit Vergangenheit und wie wir diese aufarbeiten können, mit dem Schein der Wirklichkeit und verborgenen Wahrheiten, die rückblickend nicht eindeutig rekonstruierbar sind.
Geschichte funktioniert immer nur in der Erinnerung. Wahrheiten werden fragmentarisch, ungewiss je mehr Zeit vergeht. Neue Erfahrungen kommen hinzu, verdecken die alten. Für die Menschen, die dabei waren, bleibt ein Gefühl für das Erlebte, für die Vergangenheit. Für die anderen ist es eine Betrachtung und Wahrheitssuche, die auf Grund der persönlichen Erfahrungen eines jeden Menschen, immer individuell ist.
Anne Heinlein
Vita
geboren 1977 in Potsdam, 1999 GESELLENABSCHLUSS Fotografin, 2000 STUDIUM der Fotografie an der HGB Leipzig bei Prof. Joachim Brohm und Prof. Timm Rautert, 2006 Diplom Bildende Kunst, 2016 MWFK Brandenburg, Kunstpreis Bildende Kunst, 2017 VG BILDKUNST, Publikationsförderung BGII, lebt und arbeitet in Potsdam.
Ein Projekt im Rahmen von »Welten verbinden – Kulturland Brandenburg 2024/2025«
Kulturland Brandenburg 2024/2025 wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur sowie das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg.
Mit freundlicher Unterstützung der brandenburgischen Sparkassen und der Investitionsbank des Landes Brandenburg