Im Hause Argan kreist alles beständig um den Leidensdruck der Hausherrin. Nichts lässt sie in ihrer Obsession unversucht, um sich vor Krankheiten – ja, vor der Krankheit an sich – zu schützen. Die landesweit berühmte Patientin verstrickt sich in Molières meistgespielter Komödie dabei in die Geschichte einer krankhaften Einbildung, die sich zu einem Weltverhältnis auswächst. In der Neufassung von Martin Heckmanns, der nach seinem prämierten Erfolgsstück „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“ mit einem zweiten Werk nachlegt, wird sie obendrein zu einer rasanten Abrechnung mit dem Weltschmerz einer Privilegierten. Oder ist Frau Argan doch wirklich krank? Für Wunderheilerin Doktor Purgon ist das zweitrangig, profitiert sie doch von den unablässigen Beschwerden ihrer Klientin. Um immer einen Arzt im Haus zu haben, möchte Frau Argan nun auch noch ihre eigene Tochter Angélique mit Purgons Sohn Thomas verheiraten. Doch Angélique ist Hals über Kopf in Cléante verliebt und wendet sich in ihrer Verzweiflung an die Hausangestellte Toinette, die als einzige das verrückte Treiben durchschaut und listenreich der Liebe zu Hilfe eilt.
In der Regie von Pia Richter avanciert die kluge Neubearbeitung des französischen Klassikers zu einer komischen Groteske, die die großen Themen im Stück, Liebe und Tod, für unsere Zeit theatralisiert. Die Regisseurin, bekannt für ihre feministische Perspektive auf klassische Stoffe, dreht in ihrer zweiten Arbeit für das Staatstheater (nach „Die Zähmung der Widerspenstigen“) die Geschlechterverhältnisse abermals um und erzielt dadurch nicht nur eine geschlechtergerechtere Rollenverteilung, sondern auch eine freiere Sicht auf andere aktuelle Themen: Unsere ichbezogene Kontrollsucht, unseren Gesundheitswahn, unsere zwanghafte Vermeidung des Unvermeidlichen, die im neurotischen Kreisen um das eigene Wohlbefinden gar den eigenen Tod verleugnet und keinen Platz für Liebe lässt. Im Bühnenbild von Julia Nussbaumer (Ausstattung: „Die Zähmung der Widerspenstigen“) schafft Pia Richter zusammen mit der Musik von Malik Diao und den Kostümen von Lise Kruse eine eigene schräge Welt, die die Verführbarkeit des Menschen durch Scharlatanerie ebenso offenbar werden lässt wie sie die Frage nach dem richtigen Leben im falschen zu stellen vermag.
In der Eröffnungspremiere erwarten die Zuschauer:innen neben Gesellschaftskritik und Wahrheitssuche auch unbändige Spiellust, grotesker Humor und so einige falsche Ärzte, Brüder, Musiklehrer und vieles mehr …
Der Autor und das Staatstheater Kassel haben sich gemeinsam darauf verständigt, zur Eröffnung der Spielzeit 2024/25 „Der eingebildete Kranke / Die eingebildete Kranke“ nach Molière, bearbeitet und übersetzt von Martin Heckmanns, statt „Gut Mut“ von Martin Heckmanns zu spielen.