Ein Mann kauert auf einer Sperrmüll-Matratze — den Kopf gesenkt, das Gesicht maskiert. Wo er sitzt, ist
sonst niemand. Das Setting erscheint so geordnet wie furchtgebietend: freies Feld, ein Baum, ein
Waldstück, maximal gekörnter Herbsthimmel, Düsternis in tausend Graustufen. Der mysteriöse Mann?
Elias. Das beschriebene Bild? Ein Pressefoto, das die künstlerische Vision des Newcomers, auch den Vibe
seiner Debüt-EP »Wie lässt man los?«, treffender verdeutlicht als tausend Worte. Wagen wir dennoch den
Versuch: Elias ist Sänger, Rapper und Producer, veredelt feinfühlig-experimentellen Indiepop mit
abgründig-basslastigem HipHop-Ambiente. Zwischen nachhallendem Popgesang und Kopfstimmen-
Chören, reduziertem Gitarrenspiel und antizyklischen Drums scheint im Kosmos Elias alles erlaubt —
Sanftheit clasht mit Roughness, minutiöser Perfektionismus zerstäubt in trotziger Regellosigkeit. Auf
Textebene präsentiert sich Elias als offenes Buch, singt wahrheitsliebend von Trennungsschmerz und
inneren Konflikten. Im direkten Kontrast dazu hüllt kryptisches Bildwerk seine Kunst in dichten Nebel: Elias’
Äußeres wird, wenn er in seinen Videos durch dichtes Gehölz oder über unstete Großstadtkreuzungen
gespenstert, wahlweise von wüstem Gekritzel oder einer schlichten Sturmmaske unkenntlich gemacht.
Hinter der Maske verbirgt sich — das ist selbst bei oberflächlichem Hinhören spürbar und daher kein
Geheimnis — ein Vollblutmusiker. Elias ist Mitte Zwanzig, wuchs in einem in der Kreativbranche tätigen
Kölner Elternhaus auf und besuchte im Alter von drei Jahren sein erstes Konzert. Mit achtzehn zog er nach
Berlin — wie man das eben so macht, wenn’s mit mit der Musik klappen soll. Im September 2022 ist der
erste Elias-Song entstanden, im März 2023 gingen erste Teaser auf TikTok viral. Im Zuge der
Veröffentlichung von besagter EP wird Elias am 08.09.2023 sein Debüt-Konzert im Berliner Monarch
spielen — so viel zu den Fakten. Hat Elias etwas zu verbergen? Höchstens, dass er unter anderem Namen
schon einmal erfolgreicher Musiker war, sogar Gold gegangen ist und mit englischsprachigen Songs im
Radio rotierte. Seine erste, am Pop-Mainstream orientiere Karriere hat Elias letztes Jahr — im Zuge einer
Sinneskrise zwar, aber aus freien Stücken — über Bord geworfen. Statt Wachstum, Glanz und Gloria wollte
er Chaos, Schrankenlosigkeit und echte Kunst. Obgleich er Business Class, Songwriting-Camp und
Hochglanz-Studio hätte haben können, hat Elias zwei Jahre an seinem Schreibtisch verbracht, sich das
Produzieren beigebracht und eine DIY-EP zusammengeschustert.
Zum ersten Mal in seinem Leben hat er, inspiriert durch frühe Veröffentlichungen von Paula Hartmann,
Ansu, Levin Liam und Apsilon, auf Deutsch getextet — assoziativ, kantig, nahbar, so pur wie möglich.
Meistens hat er dafür noch nicht einmal ein Notizblatt gebraucht: die Zeilen flossen aus seinem Kopf direkt
ins Mikro, waren Aufnahme-seitig oftmals One-Shots, reimten sich manchmal eher durch Zufall. Elias hat
seine neuen Freiheiten maximal ausgenutzt, tausend Tonnen Kreativität entladen und schon jetzt einen
unverwechselbaren Stil konstituiert. Angeregt durch den Sound von Bon Iver und Frank Ocean hat Elias auf
zehn Quadratmetern ein Klangbild entworfen, das ganze Hallen bis unter’s Dach dichten könnte. Elias’
Vorliebe für mächtige Bässe, organisch-analoges Instrumentenspiel, Field-Recordings und flächige Sing-
Sang-Harmonien im Background spiegelt sich in jeder Faser seiner Debüt-EP. Alle fünf Anspielstationen
scheinen im Zusammenspiel eine bittersüß-flirrende Ballade zu bilden, sind ineinander verstrickt und nur
schwerlich voneinander zu trennen. Das allerdings liegt nicht am Sound allein: »Wie lässt man los?«
zeichnet in welliger Dramaturgie eine emotionale Trennungsgeschichte nach. Die EP ist eine Chronik
gescheiterter Zweisamkeit, ein aufreibendes Gefühls-Mobilee, ein Protokoll schlafloser Nächte.
Der fluoreszierende Opener »Drehen uns« — übrigens der erste Song, den Elias im Zuge seines
künstlerischen Neustarts fertiggestellt hat — setzt an, wo der Schiffbruch beginnt. Da, wo die Beziehung zu
versanden droht, sich Schwere in der Brust breit macht, Probleme jegliche Romantik längst überschatten,
die Lossagung zur ernsthaften Option wird. Die erste, im April 2023 erschienene und unlängst im hohen
dreistelligen Bereich gestreamte Single »Wie lässt man los« konkretisiert anschließend jenen Lebewohl-
Gedanken. Kraftlos und kopfversunken stellt Elias — gebettet in behutsam-verregnetes Gitarrenspiel — die
Kernfrage der EP in der Raum: »Wie bin ich allein?«. Im paradox verspielten »Gehen« wird der Abschied
traurige Gewissheit. Der Zweifel wird spätestens hier zu Elias’ ständigem Begleiter: »Wie kann ich das
Beste, was ich jemals hatte, aufgeben?«. Die neugewonnene Einsamkeit multipliziert sich mit strukturlosem
Gefühlschaos — das kosmische »TML Interlude«, ein aus zwei Skizzen zusammengestecktes Abbild 808-
getragener Distortion, bringt diesen Mood eindrucksvoll auf den Punkt. »TML Interlude« geht schließlich ins
verträumte letzte Stück »Laufen« über. Obwohl Elias an diesem Punkt Abstand zur Trennung gewonnen zu
haben scheint, bleibt sein Leben im Ungleichgewicht: »Bin am renn’ in meinen eigenen vier Wänden«. Im
kraftvollen Finale des Songs scheint sich der eingangs beschriebene Herbsthimmel aber dennoch zu
lichten — alles nur eine Phase, oder?
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