von Michel Friedman
Regie: Emel Aydoğdu
Ausstattung: Eva Lochner | Dramaturgie: Sarah Tzscheppan
Zur angeschlossenen Reihe: VERSÖHNUNG – EINE UTOPIE?
ca. 90 Minuten keine Pause stroboskopische Effekte
»Ich bin auf einem Friedhof geboren. Schmerz, der keinen Anfang kennt, der kein Ende kennt. […] Meine Mutter, mein Vater, meine Großmutter: Über-Lebende. Trauernde. Traurige. Lebenstraurige. Ich war ihr Lächeln. Lächelnde Traurigkeit.«
FREMD erzählt die Geschichte eines Kindes. Es kommt in Frankreich als Sohn von Shoah-Überlebenden zur Welt. Die Familie ist staatenlos, heimatlos. Ein Leben in der Diaspora. In den Sechzigerjahren immigriert die Familie nach Deutschland. Ausgerechnet in das Land der Mörder, die fast die ganze Familie der Eltern ausgelöscht haben. Das Kind fühlt sich fremd. »Irgendwo im Nirgendwo lebe ich.« Wie soll man sich an diesem Ort ein Leben aufbauen? Wovon träumt man hier und wie schaut man an einem Ort in die Zukunft, wenn die Vergangenheit wie ein Schleier über allem liegt und die Gegenwart Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus bedeutet? Die Familie hält zusammen. Vielleicht hält sie sich manchmal sogar zu fest. Das Kind fühlt sich ein Leben lang verantwortlich für die Eltern, bleibt Kind, auch als es schon längst erwachsen ist. Das Trauma lastet schwer auf der Familie, lässt sie nicht los. »Wenn ich Angst vor dem Fremden habe, wie viel Angst hat der Fremde vor mir. Und die Angst, die Angst ist mein Lebensgefährte.« Aber das Kind überlebt und versucht, weiter zu träumen.
Michel Friedman hat einen lyrischen, autobiographischen Text über das Gefühl des Fremdseins geschrieben. FREMD ist die Geschichte eines Menschen und beschreibt darüber hinaus exemplarisch viele andere Schicksale. Dieses Prosalanggedicht liest sich wie eine poetische Mahnung angesichts der politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse der vergangenen Monate. Ein Plädoyer für eine komplexe, kritische Betrachtung der Gegenwart und der Erinnerungskultur, die Anerkennung von Differenzen und Haltungen und vor allem ein Plädoyer für die Menschlichkeit. »Wo ist der Gegenort der Fremde?«
Emel Aydoğdu, die in der Spielzeit 2023|24 den Roman WIR WISSEN, WIR KÖNNTEN, UND FALLEN SYNCHRON erfolgreich auf der Werkstattbühne uraufgeführt hat, wird FREMD als ihre zweite Arbeit am Theater Bonn inszenieren. Mit einem vielstimmigen Chor, aus dem immer wieder einzelne Stimmen heraustreten, will die Regisseurin einen Bogen zwischen der individuell-persönlichen Geschichte und den kollektiv-universellen Erfahrungen von Ausgrenzung schlagen.
Emel Aydoğdu, geboren 1990 in Gaziantep, Türkei, ist Regisseurin und Autorin. Sie studierte Szenische Forschung, Religionswissenschaften, Kunstgeschichte und Moderne und Zeitgenössische Kunst in Bochum. Sie war von 2017 bis 2019 als Regieassistentin am Theater Oberhausen engagiert und arbeitete unter anderem am Schauspielhaus Bochum, Jungen Schauspielhaus Düsseldorf, Maxim Gorki Theater Berlin, Theater Osnabrück, Theater Oberhausen, Jungen Staatstheater Braunschweig und Theater Konstanz. Ab der Spielzeit 2024|25 bildet sie gemeinsam mit Anne Tysiak die künstlerische Leitung des JUST - Junges Staatstheater Wiesbaden.
Die Premiere fand im Rahmen der Tage des Exils statt.