Sind Kind Kaputt gerade aus einem Alptraum erwacht oder ist es schlicht das reale Leben
selbst, das sortiert werden muss? In ihren neuen Songs räumt die Band aus Leipzig mit
der Destruktivität auf und hat den Mut zum pointierten Fingerzeig. Ein Schritt, mit dem
das Quartett nicht nur thematisch eine neue Deutlichkeit gewinnt, sondern im
Herausschlagen aus dem Dickicht des Lebens auch einen ganz neuen Sound findet.
Analog zur geradlinigeren Lyrik klingt der neue Kind-Kaputt-Sound geradezu schnörkellos
und gleichzeitig eigenständiger denn je. Musik, die die Lasten des Alltags nicht
auslöschen kann, aber dir die Hand reicht, wenn es aussichtslos erscheint.
Das 2019 veröffentlichte Kind-Kaputt-Debütalbum „Zerfall“ war ein bildgewaltiger
Monolith, dessen Titel allein schon seine destruktive Ader unterstreicht. In zwölf
konzeptuell zusammenhängenden Songs formulierte die Band um Sänger Johannes
Prautzsch, Drummer Mathis Kerscher, Gitarrist Konstantin Cajkin und Videograph Fabian
Willi Simon die Geschichte einer ganzen Generation, die nach Halt suchte. Das Gefühl
der Uferlosigkeit war in massiven Post-Hardcore-Kunstwerken begraben, die die
Überforderungen des Alltags durch Hilflosigkeit widerspiegelten. Wie aber macht man
nach einer Platte weiter, die die Sorgen einer fragilen Lebensrealität zwar zielsicher auf
den Punkt brachte, aber kaum nach Auswegen suchte? Kind Kaputt klingen vielleicht
auch durch die Nachwirkungen einer massiven Platte wie „Zerfall“ auf ihren neuen Songs
so, als hätten sie sich noch einmal ganz neu entdeckt.
Denn plötzlich meint man, in den Songs wieder etwas Kontur im Weltschmerz zu finden.
Kind Kaputt haben ihren Sound radikal aufgeräumt und dabei das Kunststück vollbracht,
trotzdem nicht in Banalitäten abzudriften. Die gigantischen Soundwände weichen
strukturierten, nach vorne weisenden Alternative-Melodien, die durch ihre einnehmende
Melodik umso mitreißender wirken. Auf einem zum Tonstudio umfunktionierten
Dachboden entstehen so statt eines groß angelegten Konzeptwerks viele einzelne Songs,
die ihre Botschaften um so pointierter auf den Punkt bringen können. Gleichzeitig geben
Kind Kaputt ihren Hang zu wunderbarer Bildsprache nicht auf, aber verpacken ihre
Botschaften mit noch mehr Mut zur deutlichen Benennung. „Die Zeit nach dem Album
war schwierig“, erinnert sich Mathis. „Wir sind alle in ein ziemliches Loch gefallen und
wussten lange nicht, wie wir weitermachen sollten. Erst nach einem Dreivierteljahr
haben wir wieder Songs geschrieben. Wir wollten sie anders schreiben: geradliniger,
direkter, klarer.“
Die neuen Kind-Kaputt-Songs erweisen sich mit ihrer unmissverständlichen Sprache als
Musik mit sinnbildlicher Kante, an der man sich festklammern kann. In den Tracks steckt
der pulsierende Duktus der deutschen Post-Punk-Schule, aber sucht in diesem nicht die
zermarternde Selbstzerstörung, sondern das Streben nach Durchblick im Nebel der
Gefühle. Kind Kaputt finden im Feuer der rotierenden Bass- und Gitarrenriffs und des
unbarmherzig nach vorne preschenden Schlagzeugs dabei immer die rettende Melodie
oder den offenarmigen Alternative-Hymnus, der die Songs nicht nur verständlich,
sondern auch einladend macht. Dass die Band dabei in manchem Element an die späten
Heisskalt erinnert, dürfte kaum ein Zufall sein – schließlich ist deren Sänger Mathias
Bloech auf vielen der Tracks als Produzent tätig gewesen und hat sich mit der Band an
ein paar brühend heißen Sommertagen zum Aufnehmen eingeschlossen.
Der Ansatz der so entstehenden Einzelstücke spielt auch Bandmitglied Fabian Willi Simon
in die Karten, der bei Kind Kaputt einzig für die visuelle Inszenierung zuständig ist und
der zu jedem der neuen Songs ein unverwechselbares Video entworfen hat. Die
mannigfaltige Bandbreite dieser Clips unterstreicht deutlich, wie sehr Kind Kaputt durch
ihre Arbeitsweise auch die Einzigartigkeit einzelner Kunstwerke noch viel tiefer
ausarbeiten können. So wird der Song „Gründe“ durch ein verschachteltes Performance-
Video begleitet, „Bleiben“ mit Heisskalt-Frontmann Mathias Bloech übersetzt die
Blumen-Metapher des Textes in das sehr bildliche Szenario eines Gewächshauses und die
weitläufigen Aufnahmen zu „Zeit“ sind sogar komplett im Microsoft Flight Simulator
entstanden.
Es spricht für die Weitsicht von Kind Kaputt, dass ihre neuen Songs trotz ihrer
herausdestillierten Schärfe nicht den Blick fürs Wesentliche verlieren. Denn natürlich ist
die Welt auch nach dem „Zerfall“ nicht plötzlich in Ordnung, vielleicht ist sie sogar
schlimmer denn je. Aber womöglich wirkt kluge Reflektion manchmal stärker als
Selbstzerstörung. Diese Musik braucht es gerade – besonders dann, wenn die Realität um
sie herum noch so viel ruheloser erscheint.