KVOST Stipendium & Claus Michaletz Preis 2024

Das sagt der/die Veranstalter:in:

Grenzland: Wo beginnen und wo enden nationale und kulturelle Identitäten? An welcher Stelle überschneiden sich offizielle und private Geschichtsschreibungen? Was ist sichtbar und was bleibt dem Blick verborgen?

Ausgangspunkt der bei KVOST gezeigten Arbeiten von Magdalena Ciemierkiewicz bildet ihr Heimatdorf Koniaczów, gelegen im südöstlichen Zipfel Polens, einem historisch multiethnisch und multireligiös besiedelten Gebiet nahe der ukrainischen Grenze.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die ukrainischen Dorfbewohner:innen, bei denen Ciemierkiewicz‘ Großmutter aufgewachsen war, während der Operation Weichsel von der kommunistischen Regierung gewaltsam vertrieben und ihre Häuser in Brand gesteckt. Seit Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine fliehen Ukrainer:innen notgedrungen erneut in diese Region.

„Ich erzähle die Geschichte meines Dorfes bewusst aus der Perspektive der dritten Generation“, erklärt Ciemierkiewicz. „Ich möchte aufzeigen, wie generationale Verletzungen sich bis heute fortschreiben, besonders in der Peripherie, wo die Vergangenheit noch dringender aufgearbeitet werden muss als in den Großstädten. Ich verstehe meine Arbeit als Teil einer neuen Erinnerungskultur.“

Ein Teil der gezeigten Arbeiten reinterpretiert ethnografische Artefakte des ehemaligen ukrainischen Stryvihor Museums. Im Jahr 1932 in Przemyśl gegründet, nur einen Steinwurf von ihrem Dorf entfernt, umfasste das Museum die umfangreichste Sammlung der marginalisierten ukrainischen Volkskunst der Region. Während der sowjetischen Besatzung wurde ein Teil der Objekte gestohlen, der Rest ging nach 1945 an das Nationalmuseum in Przemyśl, wo die Objekte eingelagert wurden und der Öffentlichkeit bis heute nicht zugänglich sind. Jetzt, während des andauernden Krieges in der Ukraine, sieht Ciemierkiewicz den richtigen Zeitpunkt, um über die Sichtbarkeit der Ukrainer:innen in Polen und die Gestaltung einer offeneren Kultur und eines offeneren Staates, auch in der Peripherie, zu sprechen.

Für ihre Ausstellung im KVOST rekreierte sie traditionelle Stickmotive auf beinahe 100 Jahre alten, von Frauen aus dem ukrainisch-polnischen Grenzgebiet handgewebten Leinenstoffen. Der Einsatz feminin konnotierter textiler Materialien eröffnet spirituelle Perspektiven auf die Idee von Gemeinschaft und dient als bewusster Kontrapunkt zum männlich dominierten Kriegsgeschäft.

Die Fragilität der textilen Strukturen, teilweise von Motten zerfressen und in Auflösung befindlich, stehen sinnbildlich für die Brüchigkeit von Erinnerungen, die ständig gepflegt werden müssen. Ciemierkiewicz überführt das Fragmentarische der historischen Stücke in ihre Arbeit und erschafft daraus ein neues Ganzes.

Zwischen 1941 und 1944 wurden die Felder um das Dorf Koniaczów zum Schauplatz unbeschreiblicher Grausamkeiten. Die Nazis töteten Tausende von Kriegsgefangenen und Zivilisten verschiedener Nationalitäten und errichteten am Ende des Krieges ein Krematorium, in dem ihre Leichen verbrannt wurden. Als Kind streifte die Künstlerin über diese Felder, ohne deren Geschichte zu kennen. Durch Akte des Gedenkens an Orte, an denen es keine Spuren der begangenen Verbrechen gibt, zeigt Ciemierkiewicz neue Formen des Erinnerns auf, die dem zeitgenössischen Kontext und der interkulturellen Vielfalt der Opfer Rechnung tragen.

Eine textile Installation aus dunkler Wolle versinnbildlicht die fruchtbaren Ackerböden, die stumme Zeugen von Kriegsverbrechen wurden. Der Titel der Ausstellung, RAPESEED, spielt bewusst mit der Doppeldeutigkeit des englischen Begriffs, der zum einen für den gelben Raps steht, der der ukrainischen Fahne neben dem Blau des Himmels ihre Farbe gibt, zum anderen die Schrecken vergangener und gegenwärtiger Kriege benennt.

Zu einer Zeit, in der nationalistische Tendenzen wieder auf dem Vormarsch sind, zeigt Ciemierkiewicz auf, dass kulturelle Identitäten im Grenzland schon immer fluide waren und untersucht Traditionen trans-nationaler Solidarität zwischen allen dort lebenden Menschen.

In Zusammenarbeit mit der ukrainischen Künstlerin Diana Sozonova entstand eine Installation aus Pysanky, nach traditionellen ukrainischen Motiven bemalte Eierschalen, nach Vorlagen aus dem Archiv des Stryvihor Museums. Als Symbol stehen die Pysanky für die Befreiung des Bodens aus der Starre des Winters, für das Kommen des Frühlings, für neue Hoffnung und Leben.

Text: Diana Weis / 2024

Magdalena Ciemierkiewicz ist die diesjährige KVOST-Stipendiatin und Empfängerin des Claus Michaletz Preises 2024. Die Künstlerin wurde aus 137 Bewerbungen ausgewählt. Das Preisgeld beträgt 10.000 Euro und geht in voller Höhe an die Künstlerin.

Ciemierkiewicz (geb. 1992) studierte an der Akademie der Schönen Künste in Warschau (MFA 2016). Derzeit lebt sie in Warschau. Sie stellte u.a. aus bei: 14. Manifesta Biennial, Kosovo XS, 2022; Galeria Biała in Lublin, 2022; Labirynt Lublin, 2022; HOS Gallery, Warschau, 2022; DIM, Ukrainian House, Warschau 2022; Tiger Strikes Asteroid, Los Angeles, 2024. Sie war im Secondary Archive, Katarzyna Kozyra Foundation, 2022 und nahm teil am Visegrad Fund, ISCP, Artistic Residency in New York, 2024.

Die Ausstellung ist Teil der Berlin Art Week / Featured Selection

Preisinformation:

Eintitt frei, Sepnden erbeten

Location

KVOST Leipziger Str. 47 10117 Berlin