Das sagt der/die Veranstalter:in:
Bald nach dem Scheitern der Revolution von 1848 schrieb der politische Flüchtling Richard Wagner seinen LOHENGRIN: eine Oper über einen Helden, der vergeblich versucht, ein zerstrittenes Volk zu befrieden. Kasper Holten lässt in seiner Inszenierung bewusst offen, ob dieser Anführer mit lauteren Mitteln kämpft ... Dirigent: James Conlon; Regie: Kasper Holten; Mit Ryan Speedo Green, David Butt Philip, Jennifer Davis, Jordan Shanahan, Yulia Matochkina, Dean Murphy u.a.
Wahlkampf in Brabant – Kasper Holten inszeniert Wagners LOHENGRIN als zeitloses politisches Machtspiel in Zeiten der Mediokratie, in Bilder oftmals mehr bewirken als tausend Argumente. Und auch wenn die dabei bedienten Klischees hinlänglich bekannt sind, ihre Wirkung entfalten sie dennoch, egal, ob in Demokratie oder Diktatur: Als souveräner Mann der Tat, mit Sandsack und in Gummistiefeln das Hochwasser bekämpfend, als fürsorgender Vater mit Kleinkind auf dem Arm oder gleich als potenzstrotzender Held, beim Tauchen, Klettern oder im Cockpit eines Kampfjets. Ob man den auch wirklich fliegen kann, ist dabei zweitrangig, macht sich aber trotzdem gut … Was indes zählt ist die Pose, die Inszenierung des Helden – und die damit verbundene Botschaft: Der strahlende Sieger an der Spitze des Staates führt Dich ins Heil. Die Frage nach dem Weg an die Spitze des Staates wird hierbei jedoch gerne ausgeblendet. Und so sind etliche Politiker, die hierzulande am hellsten, am selbstsichersten in die Kameras gestrahlt hatten, nicht mehr im Amt, nachdem die Frage nach ihrer Vergangenheit unangenehme Wahrheiten ans Licht gebracht hat. „Erkennt Ihr ihn, so muss er von Euch ziehn“.
Wenn man sich Lohengrin als einen dieser Politiker vorstellt, der die mediale Geste beherrscht und die stärksten Bilder und Legenden bemüht, um einen Heilsmythos um sich aufzubauen, kann man ihn leicht als machtpolitischen Blender begreifen, der seine Chance wittert, in zerrütteten Deutschen Landen einen neuen Staat, ein neues System, eine neue Ideologie zu etablieren. Man kann erstaunlich viele Stellen in Wagners Text und Musik aufspüren, die eine solche Lesart belegen und tragen würden. Nehmen wir beispielsweise das Frageverbot: Elsa schwebt in Lebensgefahr, wird des Mordes an ihrem Bruder Gottfried angeklagt. Lohengrin bietet ihr zwar seine Hilfe an, aber keinesfalls bedingungslos. Bevor er für sie kämpft, schlägt er ihr einen Deal vor: Sie soll ihn heiraten, aber niemals fragen, wer er sei. Selbstverständlich stimmt sie zu, was bleibt ihr anderes übrig? Ein wahrer Held hätte wohl eine andere Reihenfolge gewählt. Auch an anderer Stelle erweist sich Lohengrin als nicht ganz fairer Partner Elsas: Ihre Panik, er könnte sie wieder verlassen, beschwichtigt er: Sie müsse sich keine Sorgen machen, wenn sie sich nur an sein Gebot halte. Wenig später offenbart er, dass er vorhatte, nur ein Jahr zu bleiben, um dann in seine Heimat zurückzukehren. Es ging ihm nicht um die Frau, sondern um die Position, die sie ihm verschaffen konnte. Sein Ziel war das politische Spiel. Elsa war die Bühne, auf der er seinen großen Auftritt hatte. Es war ganz einfach Wahlkampf in Brabant.
Natürlich macht der Hang zum politischen Kalkül Lohengrin nicht per se zum Intriganten vom Schlage eines Jago, diese Rolle kommt eher Ortrud zu, die als Widersacherin des jungen Ehrgeizlings um den Erhalt der alten Ordnung im Staate kämpft – mit ihrem Gatten Telramund an dessen Spitze. Den Schwanenritter als Vollblut-Politiker zu sehen, den man trotz seiner offenkundigen Tricks vergöttert, veranschaulicht aber, dass strategische politische Manipulation oft als notwendige Methode in der Staatskunst wahrgenommen wird. Selbst unverhohlen geheuchelte Demonstration von Standhaftigkeit, Vitalität und Stärke können dem leicht beeinflussbaren Angstbürger weit mehr gelten, als Rechtschaffenheit und utopisches Gutmenschentum.
Man könnte den Medienhelden Lohengrin sympathisch finden und den Machtkampf sportlich, drohte da nicht ein Krieg, ertönten da nicht bereits die verheerenden Schlachtrufe. Angesichts der blutrünstigen Kriegslust, die in Wagners Werk laut wird, und in Anbetracht der Tatsache, dass der Wahlsieger – wer auch immer es nun sein wird – Tausende von Männern in den Krieg führen und Frauen zu Witwen machen wird, angesichts der Verblendung, dass Krieg ein ehrenhaftes Unterfangen, ein würdiges Abenteuer für junge Männer sein könnte, erlahmt sofort jede verharmlosende Geste gegenüber öffentlichkeitswirksamer Irreführung. Wenn nach dem Motto „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ ein Krieg angezettelt und zum Kampf auf Leben und auf Tod aufgerufen wird, werden Prinzipien vernünftiger politischer Einsicht auf die Probe gestellt, ob es sich nun um einen demokratischen Staat handelt, oder um einen Obrigkeitsstaat, der vorgibt, um das soziale Wohl seiner Bürger besorgt zu sein.
Elsa hat das verstanden. Sie durchschaut Lohengrin, sie hinterfragt ihn, entblößt sein selbstverliebtes Machtstreben, auch wenn sie für ihr Land keine Alternative sieht, auch wenn es Angesichts des Verschwindens Gottfrieds keinen Nachfolger für den Herrscher von Brabant gibt. Will der überführte Held an der Macht bleiben, muss er ernsthafte Absichten entwickeln und sich als selbsternannter Schützer des Volkes oder in anderen Fällen als „lupenreiner Demokrat“ beweisen, denn von nun an steht er unter Beobachtung. Er muss sich ohne den Panzer des Mythos behaupten und dem Charisma des von der fremden Macht Geleiteten entsagen. Und dann schauen wir mal.