Trauma freut sich, die Einzelausstellung ›Milky Way‹des dänischen Künstlers Esben Weile Kjær anzukündigen. In seiner genreübergreifenden Praxis, die Skulptur und Performance umfasst, lässt Kjær das visuelle Vokabular von Entertainment, Mode und zeitgenössischer Kunst aufeinanderprallen. Dabei setzt er sich kritisch mit vergangenen und gegenwärtigen jugendkulturellen Ritualen auseinander.
Im zentralen Theaterraum von Trauma hat Kjær eine große, begehbare Betoninstallation errichtet. Diese erinnert an zwei ebenso ikonische wie melancholische Architekturtypologien der jüngeren Vergangenheit: sowjetische Spielplätze und die charakterisitschen Bunkeranlagen des Zweiten Weltkriegs entlang der westeuropäischen Küste, bekannt als Atlantikwall. Indem das Publikum dazu eingeladen wird, das Bauwerk über die Treppen zu erklimmen und die eingebaute Rutsche auszuprobieren, wird das strenge, brutalistische Design der Installation durch eine kindliche Verspieltheit kontrastiert. Die Außenwand des Bunkers ist mit Neonarbeiten und Glasfenstern geschmückt. Während die Neonarbeiten fluoreszierende Pflanzen mit diamantbesetzten Blüten darstellen, die sich an der Außenseite des Gebäudes emporranken, sind die beleuchteten Fenstermotive von NASA-Aufnahmen inspiriert, die die Entstehung neuer Galaxien in der Milchstraße zeigen. Indem Kjær räumliche und visuelle Ikonographien aufeinanderprallen lässt, setzt er sich mit dem Status vergangener utopischer Visionen im Zeichen des ewig Neuen asueinander: wie Träume als Ästhetik vergegenständlicht werden, wie sie unweigerlich verblassen und wie sie wieder erwachen und uns erneut (an etwas) erinnern können.
Kann das Spiel eine Mnemotechnik sein, ein Instrument der Erinnerung? Kjærs Werk wirft die schwierige Frage auf, wie gesellschaftliche Rituale historisiert, vergessen oder auf ein bloßes Bild reduziert werden. Sein scheinbar unbekümmerter Umgang mit kulturellen Typologien wird letztlich von der Geschichte eingeholt: Der Atlantikwall wurde in den 1940er Jahren von Deutschland entlang der besetzten westdänischen Küste errichtet, in Erwartung einer epischen Schlacht, die schließlich anderswo stattfand. Doch Kjær besteht darauf, dass diese Kriegsrelikte, die fest in die natürliche Landschaft eingebettet sind, auf ganz natürliche Weise für eine radikale praktische und ideologische Neuinterpretation verfügbar geworden sind. Als Kind erlebte der Künstler diese Bunker als dekontextualisierte und höchst geheimnisvolle Strukturen, die zum Erforschen und Spielen einluden und als Kulisse für unzählige jugendliche Abenteuer dienten. Diese symbolische Umkodierung architektonischer und natürlicher Umgebungen ist natürlich nicht ungewöhnlich: Berlins eigene Geschichte der Umwandlung verlassener Strukturen in Gemeinschaftszentren (Parks, Squads, Clubs) zeugt von der radikalen Neudefinition physischer Räume und ihrer soziopolitischen Bedeutung. In Nachtclubs – ein langjähriges Forschungsobjekt des Künstlers – lädt die Umnutzung von Räumen zum direkten Experimentieren mit sozialen Normen ein und imaginiert die Definition des öffentlichen Raums neu. Kjærs Werk jedoch impliziert, dass Geschichte in diesen Materialien immer mitschwingt – es sind geisterhafte Relikte, die zwischen verschiedenen Zeiten und Zwecken schweben.
Kjær schafft gespenstische Umgebungen durch die Überlagerung unterschiedlicher, aber zutiefst vertrauter ästhetischer Tropen. Inspirationsquellen für die Glasfenster von ›Milky Way‹sind nicht nur mittelalterliche Kirchen, sondern auch Stripclubs, Casinos und Absinthbars im Paris der 1920er Jahre – eine heterogene Zusammenstellung von Räumen, die Walter Benjamin einst als ›Traumhäuser‹ bezeichnete. Diese unverhofften Orte des Vergnügens und der Hingabe sind geprägt von einer Schwellen-Atmosphäre des sozialen Austauschs und dess Performativen. Die hübschen Neonblumen, die an der Fassade des Bunkers emporwachsen, stehen für Wachstum und Erneuerung – abgedroschene Klischees, die in Konsum- und Unterhaltungsräumen ebenso verbreitet sind wie in der Kunst. Kjærs Symbole driften aus festen semantischen Ordnungen heraus ins Außen und mutieren auf ambivalente Weise zu neuen dekorativen und ökonomischen Zwecken. Kunst und Architektur können sie zwar einfangen und umlenken, aber nicht fixieren; auch sie sind Teil einer ewigen symbolischen Drift in einer Gesellschaft der Materie und der Medien im Fluss. ›Milky Way‹ erweitert die kuratorische Mission von TRAUMA, Alternativen zur traditionellen Club- und Galeriekultur in Berlin zu schaffen und die kritischen Möglichkeiten hybrider sensorischer Spielplätze unterschiedlicher Art auszuloten. Kjærs Ausstellung ist ein Vorläufer von ›Solar System‹, einer groß angelegten Einzelausstellung, die für Oktober 2024 im Kunsten Museum of Art in Aalborg, Dänemark, geplant ist.
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