The Time for Denial is Over

Das sagt der/die Veranstalter:in:
Seit den 1960er-Jahren setzt sich eine Bewegung von global vernetzten Künstler*innen, Intellektuellen und Aktivist*innen beharrlich für die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter und Ancestral Remains ein, um den Prozess der Dekolonisierung voranzutreiben. Nach einer langen Periode der Stagnation hat sich die Debatte in den letzten Jahren beschleunigt, mit Beispielen physischer Rückgaben wie der Behanzin-Schätze an die Republik Benin oder der Benin-Bronzen an Nigeria. Unzählige Initiativen von Künstler*innen und Kulturinstitutionen sind weltweit entstanden, die diesen Restitutionsprozess vorantreiben und begleiten. In diesem historischen Moment lädt die GROUP50:50 Künstler*innen, Aktivist*innen und Denker*innen aus Europa und Afrika ein, die Grundlagen für eine transnationale Restitutionsbewegung zu erarbeiten.  Nach den Begegnungen in Palermo und Leipzig diskutieren sie in Berlin in einer Reihe von Vorträgen, Performances und Screenings die Bedeutung des immateriellen Kulturerbes und der Musik für den Restitutionsprozess. Was geschieht mit all dem Wissen und der Musik, die von Missionar*innen, Ethnograf*innen, Handelsleuten und den Beamten der Kolonialmächte zusammengetragen und in den Archiven in Europa weggesperrt wurden? Wie können sie für die Menschen in den afrikanischen Ländern und Regionen, deren Erbe sie darstellen, wieder zugänglich gemacht werden? Wie gehen die Musiker*innen und Künstler*innen, die zwischen den Kontinenten arbeiten, mit diesem Erbe um? Und wie können wir verhindern, dass dieselben Mechanismen der gewaltsamen Aneignung von Wissen und kulturellen Praktiken heute in anderer Form reproduziert werden? 3.2., 15–16:30 Uhr / HAU2 “Who is the thief, who is the owner?” Moderation: Eva-Maria Bertschy Film “You Hide Me” von Nii-Kwate Owoo Vorträge von Mwazulu Diyabanza und Sarah Imani, moderiert von Eva-Maria Bertschy In Anbetracht der Kulturgüter und Ancestral Remains in den europäischen Museen, in den privaten Sammlungen und den Archiven der Universitäten stellen sich eine ganze Reihe von komplexen juristischen Fragen. Wem gehören diese Objekte? Sind es überhaupt Objekte oder sind es Menschen? Wurden sie enteignet, gewaltsam entrissen oder rechtmäßig erworben? Wem sollen sie zurückgegeben werden? Weil oft wesentliche Informationen fehlen, um diese Fragen zu klären, argumentieren viele für den Status Quo. In welchem Verhältnis stehen Eigentumsfragen zu den kulturellen Rechten und den Menschenrechten der enteigneten Völker? Im Zuge der Restitution werden auch die juristischen Prämissen unserer heutigen Weltordnung einer dekolonialen Kritik unterzogen. Film “You hide me” (1972, 16 min), Nii-Kwate Owoo 1970 erhielt der ghanaische Filmemacher Nii Kwate Owoo durch eine List die Erlaubnis, einen Tag lang in den Archiven des British Museum einen Film zu drehen. 1971 wurde dieser Film mit dem Titel “You hide me” in Ghana als “antibritisch” verboten, was für sehr viel Aufsehen sorgte. Mehr als ein halbes Jahrhundert später wurde “You hide me” 2020 mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm auf dem Pariser Kurzfilmfestival ausgezeichnet. Der Film endet mit dem Satz: We the people of Africa and of African descent, demand that our works of art which embody our history, our civilisation, our religion, and culture, should be immediately and unconditionally returned to us.  Talk mit Mwazulu Diyabanza Mwazulu Diyabanza ist ein kongolesischer Aktivist und Begründer der Multikulturellen Front gegen Plünderungen. 2020 versuchte er, Gegenstände aus europäischen Museen zu stehlen und sie in die Regionen und Communities, aus denen die Gegenstände stammen, zurückzubringen. In seiner Rede für “The Time For Denial Is Over” in Palermo im Juni 2022 stellte er die Frage: “Wer ist der Dieb?”. In Berlin schließt er mit einer Gegenfrage an: “Wer ist der Eigentümer?” Talk mit Sarah Imani Sarah Imani ist Rechtsanwältin. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit und Forschung sind Völkerrecht, Völkerstrafrecht und Menschenrechte sowie Völkerrechtstheorie. Sie ist Legal Advisor beim Institut für juristische Intervention des ECCHR. Dort arbeitet sie zu den deutschen und europäischen Kolonialverbrechen und zu postkolonialer Kritik am Recht. Das ECCHR wurde 2007 von internationalen Jurist:innen gegründet, um mit juristischen Mitteln gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Im Anschluss: Publikumsgespräch   3.2., 16:45–18:30 Uhr / HAU2 THE RESTITUTION OF INTANGIBLE CULTURAL HERITAGE Moderation: Patrick Mudekereza Einführung von Lars-Christian Koch Film “Sometimes it was Beautiful” von Christian Nyampeta Christian Nyampeta im Gespräch mit Patrick Mudekereza Nebst den kulturellen Artefakten und Ancestral Remains haben Ethnograph:innen, Kunstsammler*innen und Missionar*innen in den ehemaligen Kolonien auch Musik und andere immaterielle Kulturgüter aufgezeichnet und gesammelt, um sie europäischen Museen und Universitäten zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen. Diese finden aber in der aktuellen Restitutionsdebatte bisher wenig Beachtung. Wie können diese Aufzeichnungen Künstler*innen, Musiker*innen und Forscher*innen, aber auch den lokalen Gemeinschaften, deren kulturelles Erbe sie darstellen, zugänglich gemacht werden? Wie können sie sich diese wieder aneignen? Und wie gehen wir mit dem Wissen und den Darstellungen um, die die koloniale Gewalt reproduzieren? Film “Sometimes it was beautiful” von Christian Nyampeta (2018, 40 min) Christian Nyampetas Film “Sometimes it was beautiful” handelt von einem unwahrscheinlichen Aufeinandertreffen von Freunden, die sich im Kino I fetischmannens spår (In the Footsteps of the Witch Doctor) anschauen, einen der sechs Filme, die der schwedische Filmemacher Sven Nykvist zwischen 1948 und 1952 über den Kongo drehte. Postkoloniale Berühmtheiten, ein Filmemacher und eine hohe königliche Persönlichkeit eines ehemaligen Kolonialreichs sprechen über die "Spuren einer schmerzhaften Geschichte" und das "Gleichgewicht der Komposition".  Talk mit Patrick Mudekereza, Christian Nyampeta und Lars-Christian Koch Lars-Christian Koch ist Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlin sowie Direktor für die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt Forum. Er ist Professor für Musikethnologie an der Universität zu Köln und Honorarprofessor für Musikethnologie an der Universität der Künste Berlin und leitete das Forschungsprojekt Erschließung und Digitalisierung der Tonaufnahmen der Preußischen Phonographischen Kommission 1915-1918. Seine Forschung kreist um Instrumentenkunde mit einem besonderen Fokus auf Instrumentenbau, buddhistische Musik, Popmusik und urbane Kultur sowie historische Tonaufnahmen. Christian Nyampeta ist Künstler, Filmemacher und Schriftsteller und arbeitet in New York, London, den Niederlanden und in Ruanda. In seinen Arbeiten befasst er sich mit den kulturellen Auswirkungen kolonialer Gewalt und untersucht, wie Individuen und Gemeinschaften Formen gesellschaftlich organisierter Gewalt verhandeln. Er kuratiert und entwickelt Programme, Ausstellungen, Performances, pädagogische Experimente und Publikationen, die als Strukturen für kollektive Gefühle, kooperatives Denken und gemeinsames Handeln konzipiert sind. Patrick Mudekereza ist Schriftsteller und Kurator. Er ist Gründer und künstlerischer Leiter des Centre d‘art Waza, eines einzigartigen unabhängigen Kunstzentrums in Lubumbashi. Er war Mitbegründer und Leiter der ersten drei Ausgaben der Rencontres Picha, Biennale de Lubumbashi, ist Mitbegründer der GROUP50:50 und Co-Autor von “The Ghosts Are Returning”.  Followed by a discussion with the public   4.2., 15:00–17:00 Uhr / HAU2 TOWARDS NON EXTRACTIVE PRACTICES IN CONTEMPORARY MUSIC Moderation: Elia Rediger “Temporary Stored” Gespräch und listening session mit Joseph Kamaru (KMRU) Gespräch mit Ketan Bhatti und Pamela Owusu-Brenyah, moderiert von Elia Rediger Bis heute eignen sich westliche Musiker*innen Musik aus Ländern im globalen Süden an und erzielen damit hohe finanzielle und berufliche Erfolge, während die Urheber*innen und Ursprungskulturen dieser Musik wenig Beachtung oder Anerkennung finden. Sie missachten nicht selten dabei die Urheberrechte der Musiker*innen, die aufgrund fehlender rechtlicher Grundlagen oder entsprechenden Verwertungsgesellschaften nicht geltend gemacht werden können. So werden die extraktiven Praktiken der Musikethnograf*innen der Kolonialzeit fortgeführt. Wie können sich neue Formen der Zusammenarbeit für einen gleichberechtigten und inspirierenden Austausch entwickeln? Joseph Kamaru aka KMRU ist Soundkünstler und lebt in Berlin. Er beschäftigt sich mit Klangkultur, akkustischer Wahrnehmung jenseits der Norm und Improvisation. In “Temporary Stored” hinterfragt der in Nairobi geborene Künstler die Bedeutung von Klangarchiven für die Geschichte kolonialer Gewalt. Mit Synthesizer-Klängen, Field-Recordings und Aufnahmen aus dem Archiv des Königlichen Museums für Zentralafrika in Tervuren, macht er sich an die Wiederaneignung der geraubten Sounds. Talk mit Pamela Owusu-Brenyah Pamela Owusu-Brenyah ist Kuratorin und Veranstalterin. Mit ihrer Arbeit fördert sie die Sichtbarkeit von Afro-pop Kultur und Künstler:innen afrikanischer Abstammung. Sie gründete die Plattform AFRO x POP und das gleichnamige Festival, um der Afro-Deutschen Musikszene eine Bühne zu geben und Brücken zwischen Deutschland und dem afrikanischen Kontinent zu bauen. Talk mit Ketan Bhatti Ketan Bhatti arbeitet als Komponist und Schlagzeuger zwischen verschiedenen Genre- und Kulturwelten. Seine Arbeiten reichen von zeitgenössischer Kammermusik über experimentelles Musik- und Tanztheater, Bühnen- und Filmmusik bis zu elektronischen, Hip-Hop-basierten Produktionen. Er komponiert gemeinsam mit seinem Bruder Vivan Bhatti Musiktheaterstücke, die Fragen zu Integration und Ausgrenzung stellen und u. a. an der Neuköllner Oper, der Tischlerei – Deutsche Oper Berlin und der Staatsoper Hannover (ur-)aufgeführt wurden. Im Anschluss: Publikumsgespräch 4.2., 17:15–18:00 Uhr                                               THE USE OF MUSIC FOR A DECOLONIAL CULTURE OF REMEMBRANCE (FR/ENG) Moderation: Patrick Mudekereza Performance von Fabrizio Cassol und Kojak Kossakamwe Fabrizio Cassol und Kojak Kossakamwe im Gespräch mit Patrick Mudekereza Musik spielt für die rituellen Praktiken, die mit den kulturellen Artefakten in den europäischen Museen verwoben sind, wie auch bei der Beisetzung von sterblichen Überresten der Ahnen, die in den Archiven der Museen und Universitäten liegen, eine zentrale Rolle. Wie können zeitgenössische Musiker*innen die Restitution von Kulturgütern und Ancestral Remains begleiten und an einer dekolonialen Erinnerungskultur in europäischen und afrikanischen Städten mitwirken?   Performance / Talk von und mit Fabrizio Cassol und Kojack Kossakamwe Fabrizio Cassol ist ein belgischer Jazz-Saxophonist, Klarinettist, Komponist und Arrangeur. Sein Album “Requiem pour L.” – eine weltmusikalische Adaption von Mozarts „Requiem“ für Akkordeon, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Euphonium und Lamellenharfe, von sieben Sängern auf fünf afrikanischen Sprachen und Latein vortragen – wurde 2019 auf die Bestenliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik gesetzt. Kojack Kossakamwe ist Jazz-Musiker und Gitarrenvirtuose aus der Demokratischen Republik Kongo. Mit polyrhythmischem Genie verbindet er Jazz und traditionelle kongolesische Klänge und der populären kongolesischen Rumba. Die spirituelle Bindung zur Musik spielt für ihn eine wichtige Rolle. Er war bei “Requiem pour L.” an der Komposition von vielen Stücken beteiligt und als Gitarrist auf der Bühne. Für “The Ghosts Are Returning” macht er gemeinsam mit Elia Rediger die musikalische Leitung. Im Anschluss: Publikumsgespräch

Location

HAU - Hebbel am Ufer Stresemannstr. 29 10963 Berlin

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