Festival für neue Musik
Die Welt ist aus den Fugen – so scheint es jedenfalls vielen angesichts gegenwärtiger Kriege, Katastrophen und neuer Herausforderungen. Und auch die Kultur ist unter Druck. Die Künste sehen sich bisweilen unerfüllbaren Erwartungen gegenüber – und wirken vielfach nicht weniger zerrissen in dem Versuch, Positionen zu finden und diesen in ihren Arbeiten Gestalt zu verleihen.
Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass sich in jüngster Zeit in einem dialektischen Prozess eine Gegenposition herauskristallisiert, bis hin zur Renaissance eines historischen Begriffs wie der ›absoluten Musik‹. So selbstverständlich es für die meisten Musiker*innen ist, sich künstlerisch einzumischen in die Debatten der Zeit, so legitim ist es auch, unabhängig von all dem zu arbeiten. Ultraschall Berlin, das Festival für neue Musik von Deutschlandfunk Kultur und radio3 vom rbb, gibt beiden Tendenzen Raum.
Über diese konkreten aktuellen Bezüge, Überlegungen und Diskussionen hinaus präsentiert Ultraschall Berlin auch in diesem Jahr Uraufführungen, Deutsche Erstaufführungen und Werke der jüngsten Vergangenheit ebenso wie Klassiker der Avantgarde – das Heterogene, das irisierend Vielfarbige der Neuen Musik. Frei von Aktualitäts- und Uraufführungszwängen präsentiert das Festival wesentliche Entwicklungen, die die Musik der Gegenwart prägen, und wirft beziehungsreich einen Blick auf die jüngere Vergangenheit, um ausgewählte Werke in einem veränderten Kontext neu zu beleuchten.
LINEUP
LUX:NM | 17:00 Uhr
Im ersten Konzert des Jubiläums-Doubles feiert das LUX:NM contemporary music ensemble berlin sein 15-jähriges Bestehen. Längst zählt es zu den erfolgreichsten Ensembles der zeitgenössischen Musik. Die Musiker*innen verstehen sich als undirigiertes Ensembles auch als Initiator*innen für neue Musik. Unter dem Motto »Orte und Erinnerungen« präsentieren sie eine Reihe von Werken, teils als Uraufführungen, die dem Ensemble mit seiner ungewöhnlichen Besetzung auf den Leib geschrieben worden sind.
Orte und Erinnerungen Geburtstagskonzert 15 Jahre
Sara Glojnarić Artefacts #3 (2020) 6‘, Fassung für LUX:NM
Leopold Hurt Neues Werk (2024) 10‘ für Ensemble, Uraufführung, Kompositionsauftrag des Ensemble LUX:NM
Bethany Younge Undergroth / Polka (2023) 11‘ für Ensemble
Séverine Ballon Innere Wälder (2024) 15‘ für Ensemble, Uraufführung, Kompositionsauftrag des Ensemble LUX:NM, mit freundlicher Unterstützung durch Impuls Neue Musik
Oxana Omelchuk Memories. Tape I (2023) 20‘ für Ensemble
Ensemble Recherche | 19:30 Uhr
Das zweite Konzert des Jubiläum-Doubles widmet sich dem 40-jährigen Bestehen des Ensemble Recherche. In dieser Zeit hat das Ensemble so manche Veränderung durchgemacht – geblieben ist jedoch die permanente Neugier auf das Unerforschte sowie der Blick auf unsere unmittelbare Gegenwart und die Auswirkungen auf Kunst und Kultur. Im Zentrum des Geburtstagskonzert steht das neue Ensemblewerk »Laub« von Enno Poppe, eine Auseinandersetzung mit Formen der Veränderung. »Ich bin ja insgesamt obsessiv mit Variationen. In ‚Laub‘ ist jeder Takt eine Variation des vorhergehenden Takts. So entsteht eine Art ‚Stille Post‘, bei der sich die Musik komplett verändert, ohne dass man sagen könnte, an welcher Stelle diese Veränderung stattgefunden hat«, so der Komponist.
Ergänzt wird das Programm mit zwei Deutschen Erstaufführungen. Malin Bång setzt sich in »inuti« mit unserem Alltag auseinander, der sich „immer schneller zu einer digitalen Existenz“ entwickelt. »Als Gegenmaßnahme möchte ich den Fokus auf unsere unmittelbare physische Umgebung verlagern, um unsere taktilen Erfahrungen und die Art und Weise, wie wir mit unseren Sinnen interagieren, zu würdigen.« Katherine Balch versucht in ihrem Werk »musica spolia«, »den Unfug, die Verspieltheit und die mikroskopische Welterschaffung der Kindheit einzufangen«. Das Stück entstand in Rom und die Komponistin fühlte sich in ihren Wanderungen durch diese Stadt an ihre Erkundungen des Wüstencanyons in der Morgendämmerung vor ihrem Haus in San Diego, Kalifornien, erinnert, wo sie aufgewachsen ist.
Katherine Balch musica spolia (2021) 6‘ für Flöte, Violine, Schlagzeug und Klavier
Malin Bång inuti (2023) 10‘ für Ensemble
Enno Poppe Laub (2024) 40‘ für Ensemble
Michael Pflumm / Viviane Hagner / Axel Bauni | 21:30 Uhr
Als Aribert Reimann im März 2024 starb, fanden sich in seinem Nachlass u. a. ein Liederzyklus nach Gedichten von Paul Celan und eine Violinsonate, die der Komponist mit Anfang 20 schrieb und die hervorragende Zeugnisse für seinen Weg zu seinem Individualstil sind. Teilweise geprägt noch vom Einfluss seines Kompositionslehrers Boris Blacher, finden sich hier jedoch bereits Anklänge an die expressiv-melodische Verdichtung, die v. a. seine großen Opern und Lieder auszeichnen prägen sollten. Beide Werke wurden noch nie in öffentlichen Konzerten aufgeführt und erleben bei Ultraschall Berlin ihre Uraufführung. Der letzte Liederzyklus des im Juli 2024 verstorbenen Wolfgang Rihm, »Überwundene Zeit«, nach Gedichten von Uwe Gröning, uraufgeführt von Axel Bauni 2022 bei der LiederWerkstatt in Bad Kissingen, lässt noch einmal die hoch expressive Kraft in der Musiksprache des Komponisten aufscheinen, in aphoristischer Verdichtung.
Aribert Reimann Drei Gedichte von Paul Celan (1957) 10‘ für Tenor und Klavier, Uraufführung
Sonate für Violine und Klavier (1957) 15‘, Uraufführung
An Hermann (2008) 7‘ für Tenor und Klavier
Vokalise (2006) 3‘ für Tenor
Wolfgang Rihm Überwundene Zeit. Einige Gedichte von Uwe Grüning (2022) 10‘ für Tenor und Klavier
Preisinformation:
Tagestickets Ermäßigt 30,00€ Regulär 45,00€ https://heimathafen-neukoelln.reservix.de/p/reservix/event/2348183