Beide Konzeptionen des Kunstwollens offenbaren ganz unterschiedliche wissenschaftliche Temperamente Riegls und Panofskys. Während der erstere bemüht war, die Kunst in ihrem geschichtlichen Lauf möglichst genau zu beschreiben und dabei Ursachen und Mechanismen ihrer Wandlungen aufzudecken, wollte der letztere vielmehr das Wesen von größeren und kleineren ganzheitlichen Einheiten (Stile, Epochen und Stile einzelner Künstler) ergründen. Das Kunstwollen, das Riegl im Blick hatte, war ein „Wollen“, das lediglich auf die Kunst, das heißt de facto auf die Form beschränkt blieb. Panofsky dagegen verfolgte bereits in seinen frühesten Arbeiten den Anspruch, über reine Stilfragen hinauszugehen und sich mehr dem Inhalt sowie anderen Kulturphänomenen zuzuwenden – was letzten Endes die Schaffung der ikonologischen Methode nach sich zog –, um eine gemeinsame Ebene zu finden, auf der man nach tieferen Zusammenhängen zwischen Stil und Inhalt forschen könnte. Den ersteren faszinierte der Zeitlauf und die Bewegung (die Schrauben-Metapher) und den letzteren der Kern der aufgehaltenen Zeit (Eidos).
Prof. Dr. Wojciech Bałus: Professor am Institut für Kunstgeschichte der Jagiellonen-Universität zu Krakau, studierte Kunstgeschichte und Philosophie. Gastprofessor an den Universitäten zu Kiel und Mainz. Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Künste (PAU) und Academia Europea, Präsident des Polnischen Nationalkomitees Corpus Vitrearum, Mitglied der AICA. Verfasser zahlreicher Studien zur Geschichte der Architektur, Malerei und Kunsttheorie des 19. und 20. Jahrhunderts, u.a.: Krakau zwischen Traditionen und Wegen in die Moderne. Zur Geschichte der Architektur und der öffentlichen Grünanlagen im 19. Jahrhundert (Stuttgart 2003), Gotik ohne Gott? Die Symbolik des Kirchengebäudes im 19. Jahrhundert (Frankfurt/M 2016) und Art Historiography and Iconologies Between West and East, Hrsg. mit M. Kunińska (New York und London 2024).
Die Teilnahme ist kostenlos.
Veranstaltungsort: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Raum 242, II. OG
Der Vortrag wird parallel via Zoom übertragen. Informationen zum Vortrag finden Sie hier.