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Vergessene Arbeitskämpfe - Ein Punk-Abend • We want sex(equality) 1968, England • Niki Lauda Firefighters • Frontalangriff

Das sagt der/die Veranstalter:in:
Der Streik der Näherinnen im Ford-Werk Dagenham (1968)

Am 07. Juni 1968 wird es in einigen Arbeitsräumen der Ford-Werke in Dagenham nahe London sehr still. Hier, wo sonst die Nähmaschinen chorisch rattern, an denen die Sitzbezüge für die Autos produziert werden, rattert nichts mehr. Kurz zuvor hatte die Geschäftsleitung eine umfassende Modernisierung der Lohnstrukturen verkündet. Der neue Tarif, abgesegnet von der Gewerkschaft, mag für die 55000 bei Ford angestellten männlichen Arbeiter eine Verbesserung bedeutet haben. Für die 187 Näherinnen ist er gleich eine doppelte Zumutung. Sie werden in die Kategorie B („unskilled work“) eingruppiert und damit zu ungelernten Arbeitskräften herabgestuft. Zudem liegt ihr Lohn noch 15 Prozent unter dem Lohn der männlichen Kollegen desselben Tarifs. Die Frauen wollen weder die Degradierung noch die Ungleichbehandlung hinnehmen. Sie streiken.

Dass bei Ford erstmals Frauen die Arbeit niederlegen, ist mindestens ungewöhnlich, aber für die Unternehmensleitung – alles Männer – offenbar zunächst nicht weiter besorgniserregend. Statt sich mit den berechtigten Forderungen der Frauen auseinanderzusetzen, werden die Gewerkschaftsvertreter – alles Männer – in die Spur geschickt, um die Frauen zu zügeln. Denn unterstützt wird das Anliegen der Frauen durch die Gewerkschaft nicht, vor allem aus Sorge, die gerade frisch vereinbarten Tarife damit ins Wanken zu bringen. Auch die Vertreter der Presse – alles Männer – nehmen den Streik der Frauen zunächst nicht sonderlich ernst und spötteln in ihrer Berichterstattung über die „Armee der Röcke“. Doch trotz der männlichen Herablassung wirkt sich der Arbeitskampf der Frauen schnell auf die gesamte Produktionskette und damit letztlich auch auf die Arbeit der Männer aus. Ohne die Näherinnen entstehen keine Sitzbezüge, ohne Sitze rollen keine verkaufsfertigen Autos aus den Hallen. Nach 14 Tagen Streik steht die gesamte Produktion schließlich still. Dem Unternehmen entstehen Verluste in Millionenhöhe, tausende Arbeiter werden in Kurzarbeit geschickt. Ford erwägt sogar, das Werk in Dagenham zu schließen, 40000 Arbeitsplätze sind in Gefahr. Nun wird die ernste Sache endlich auch ernst genommen. Nun kommt die Politik ins Spiel.

Sie heißt Barbara Castle, gilt als First Lady der Linken und ist zu diesem Zeitpunkt Staatssekretärin für Arbeit und Produktivität in der Labour Regierung von Harold Wilson. Castle soll vermitteln und lädt die Frauen nach London zum Gespräch. Es wird Tee gereicht und nach dem obligatorischen Foto für die Presse – so munkelt man – auch Hochprozentigeres. Nach sieben Stunden ist ein Kompromiss gefunden, auf den sich die Frauen, obschon zähneknirschend, einlassen. Sie kehren nach dreiwöchigem Streik an die Nähmaschinen zurück. Castle verspricht ihnen dafür die sofortige Lohnanhebung auf 92 Prozent des Lohnes der männlichen Angestellten, versagt ihnen allerdings vorerst die Hochstufung zu gelernten Arbeiterinnen. „Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren“, soll eine der Näherinnen das Ergebnis des Streiks kommentiert haben.

Dennoch wird der Streik der Ford-Näherinnen heute als einer der größten feministischen Erfolge der späten 60er Jahre gehandelt. Vor allem, weil er wesentlich zur Verabschiedung des von Barbara Castle initiierten Equal Pay Act im Jahr 1970 beigetragen hat. Dieser besiegelte in Großbritannien den rechtlichen Anspruch auf gleiche Entlohnung von Frauen und Männern. So zumindest die schöne juristische Theorie, in der Praxis ist dies in vielen Bereichen auch heute noch nicht umgesetzt. Umgesetzt immerhin wurde das geforderte Tarif-Upgrade der Näherinnen zu qualifizierten Arbeiterinnen schließlich doch noch. Wenn auch erst 1984, also nach 16 zähen Jahren. Wenn auch erst nach einem weiteren Streik.

Kerstin Roose

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Über die Bands:

Frontalangriff: Schnelle Stadt, schnelle Riffs. Mitte 2020 gegründet aus Mitgliedernvon CUT MY SKIN, RAWSIDE, TROOPERS, DARWINS RACHE.Hardcorepunk aus Berlin. Momentan am mixen der 2ten Platte.frontalangriff.com [https://www.frontalangriff.com]frontalangriff.bandcamp.com/album/frontalangriff [https://frontalangriff.bandcamp.com/album/frontalangriff]facebook.com/frontalangriffberlin [https://www.facebook.com/frontalangriffberlin]

Niki Lauda Firefighters:nikilaudafirefighters.bandcamp.com [http://nikilaudafirefighters.bandcamp.com]instagram.com/nikilaudafirefighters [https://www.instagram.com/nikilaudafirefighters/]

Location

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Linienstraße 227 10178 Berlin

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