DIE AUTO-PERFORATIONS-ARTISTEN (F.A.Q.)

Das sagt der/die Veranstalter:in:

DIE AUTO-PERFORATIONS-ARTISTEN (F.A.Q.)
Micha Brendel, Else Gabriel, Rainer Görß und Via Lewandowsky
kuratiert von Stephan Koal

KVOST widmet sich mit der Ausstellung dem Wirken der Auto-Perforations-Artisten. Die Künstler:innengruppe, gegründet an der HfbK Dresden, war seit 1982 aktiv und bestand aus Micha Brendel (*1959),  Else Gabriel (*1962),  Rainer Görß (*1960) und Via Lewandowsky (*1963). Es ist die erste institutionelle Einzelausstellung der Gruppe in Berlin.

Auto-Perforations-Artistik ist eine spezifische Kunstform, die Performances, Installationen, Musik und Aktionen miteinander verbindet. Sie entwickelte sich als Abgrenzung gegenüber der vorherrschenden dogmatisch verordneten Staatskultur und der am Sozialistischen Realismus orientierten Kunstproduktion der DDR. Im Zentrum des Schaffens der Auto-Perforations-Artisten stand der eigene Körper, der bis zur Selbstverletzung verausgabt wurde.

KVOST zeigt Super-8-Filme, Fotografien und Videoaufzeichnungen von Performances sowie Texte und Konzepte der Gruppe als Zeitzeugnisse. Zudem werden Dokumente der Überwachung und gezielten Zersetzungsmaßnahmen durch die Staatssicherheit gezeigt. Die Ausstellung stellt darin enthaltene Anschuldigungen und Unterstellungen den realen Aktionen der Künstler:innen gegenüber. Das erste Mal seit Anfang 1989 ist zudem die Installation Umkleide zu sehen, heute als Remake, damals Teil der Ausstellung Menetekel.

Menetekel war für die Galerie Nord in Dresden als assoziativer Parcours zwischen Komik und Tristesse konzipiert und spiegelte den immer absurder werdenden Alltag in der späten DDR. Zu den Kunstwerken gehörten unter anderem Rinderunterbeine vom Schlachthof, auf Glasscherben geklebt und in den Räumen platziert, als Überrest einer Herde Richtung Ausgang ziehend. An den Wänden museal hinter Glas montierte Tapetenflächen, die sorgfältig aus einer verlassenen Altbauwohnung abgelöst wurden. Ein Schwerlast-Elektromagnet, der von einer Zeitschaltuhr getaktet scheppernd ein Blech von einem Kissen zog und wieder fallen ließ.

Die Installation Umkleide spielt mit den in der DDR allgegenwärtigen „Rotlichtbestrahlungen“, Belehrungen und Parolen, mit denen an der Überlegenheit des Sozialismus bis zum Ende festgehalten wurde, in unübersehbarem Kontrast zur Realität. Das Ensemble vervollständigte ein kleiner Generator, der einen Sinusdauerton in einer Höhe erzeugte, die bei Kindern und Hunden an der Schmerzgrenze liegt, von älteren Menschen häufig nicht mehr bewusst wahrgenommen wird. Die Ausstellung führte zu einem politischen Eklat und wurde aus „hygienischen Gründen“ zwischenzeitlich durch die Abteilung Kultur im Rat der Stadt geschlossen.

Als Kunstform provozierte die Performance in der DDR, da sie zum einen den Vorteil bot, bis zum Moment der Aufführung Inhalt und Bedeutung nicht vollständig offenlegen zu müssen und zum anderen kaum Materielles hinterließ. Das war eine der Methoden, mit denen es den Auto-Perforations-Artisten gelang, innerhalb der repressiven Strukturen der DDR Auftritte und Ausstellungen zu realisieren.   
 
Die Titel der Aktionen wie zum Beispiel Langsam Nässen (1985), Spitze des Fleischbergs (1986), Midgard-Heldenhalden und Schaltkreismythologien (1989) oder Von Ost nach Nord (01.07.1989) beinhalteten für das Publikum erkennbare Provokationen, ohne politisch direkt angreifbar zu sein.
 
Durch das Spiel mit Mehrdeutigkeiten und die verstörende Radikalität im Umgang mit dem eigenen Körper, sowie durch ihre Kompromisslosigkeit gegenüber dem etablierten DDR-Kunstbetrieb erregte die Gruppe schnell große Aufmerksamkeit. Ihre enorme Wirkung in der Kunstszene in Berlin, Dresden und Leipzig ist außerdem einigen unerschrockenen und neugierigen Kunstwissenschaftler:innen zu verdanken, allen voran Christoph Tannert. Heute zählen die Auto-Perforations-Artisten zu den wichtigsten Performancegruppen der 1980er Jahre.  
 
Die Aktionen der Kerngruppe der Auto-Perforations-Artisten wurden häufig erweitert durch Kooperationen mit befreundeten Künstler:innen. Kollaborateur:innen waren zum Beispiel die Musiker Norbert Grandl, Gottfried Rösler und immer wieder Ulf Wrede, der Autor Durs Grünbein, die Tanzpädagogin Hanne Wandtke, aber auch Kommiliton:innen der HfbK Dresden wie Karina Alisch, Peter Dittmer und Viola Schöpe.

Die Ausstellung ist der zweite Teil einer Reihe im KVOST, die in drei aufeinander folgenden Jahren je eine für die DDR prägende Künstler:innengruppe zeigt. Der erste Teil dieser Reihe war 2023 die Ausstellung der Chemnitzer Künstler:innengruppe Clara Mosch.

 

 

Location

KVOST Leipziger Str. 47 10117 Berlin

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