"Normalität" konzentriert sich auf frühere Arbeiten von Hito Steyerl. In diesen untersucht die Künstlerin die unterschiedlichen gesellschaftlichen Dynamiken und Spannungen, die in Folge der deutschen Wiedervereinigung in den 1990er und frühen 2000er Jahren einsetzten.
Steyerls Videoessays und Dokumentationen gehen dem politischen Zusammenwirken von neuem Nationalismus und Neoliberalismus in einer Zeit nach, als westdeutsche Manager Ostdeutschland wie eine bankrotte Firma ausweideten, Berlins neue Mitte auf Basis von Lohndumping zum Hauptstadt- und Investitionsprojekt wurde und Politiker des bürgerlichen Lagers die Leitkulturdebatte neu entfachten.
Die damaligen politischen Entwicklungen werden in der Ausstellung als einer der Nährböden für den Aufstieg rechter Bewegungen und die Zunahme rechtsextremer Gewalt bis heute betrachtet. Dabei wird in besonderer Weise deutlich, dass Antisemitismus und Rassismus in Deutschland in komplexen historischen Verhältnissen zueinander stehen und immer wieder interagieren.
"Normalität" wird bewusst im letzten Quartal des Wahljahres 2024 gezeigt. Die AfD hat sowohl in Sachsen, Thüringen als auch in Brandenburg in demokratischen Wahlen erhebliche Gewinne erzielt. In diesem Kontext konfrontiert die Ausstellung den zur Normalität gewordenen Aufstieg rechter Parteien und Populisten mit Steyerls künstlerisch-filmischer Analyse der gesellschaftlichen Hintergründe und der Vorgeschichte von deren Erfolg – ein Ereignis, das mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern weltweit als Teil der gesellschaftlichen Normalität betrachtet werden muss.
Normalität wird von den meisten Menschen als positive Kategorie verstanden. Der gewohnte Lauf der Dinge soll um (fast) jeden Preis aufrechterhalten werden. Hingegen wirft die Ausstellung die Frage auf, was es bedeutet, wenn das, was die einen als „normal" empfinden, für die anderen eine Bedrohung darstellt. Was, wenn der alltägliche Umgang mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus als passive oder aktive Hinnahme dieser Phänomene betrachtet werden muss? Was, wenn die AfD mit dem Slogan “Deutschland. Aber normal.” gewinnt?
Ist es dann nicht an der Zeit, den Begriff der Normalität selbst zu hinterfragen?
Im Rahmenprogramm der Ausstellung finden drei öffentliche Veranstaltungen in der Reihe SWR KULTUR GESPRÄCH mit dem Autor und Moderator Dietrich Brants statt. Brants, bekannt u.a. für den Podcast „Die Lücke von Hanau“, wird in der ersten Sendung am Sonntag, den 27. Oktober um 11 Uhr Hito Steyerl als Gast begrüßen.
Hito Steyerl (*1966 in München) ist eine international renommierte Künstlerin, Filmemacherin und Autorin. In ihren installativen Environments, essayistischen Dokumentarfilmen und Texten setzt sie sich mit medialen Machtverhältnissen und feministischer Repräsentationskritik auseinander. Ihre Arbeiten bewegen sich an der Schnittstelle von Film und bildender Kunst sowie von Theorie und Praxis. Derzeit beschäftigt sie sich vor allem mit den Auswirkungen Künstlicher Intelligenz.