In the organizer's words:
Ich denke hier tatsächlich daran, den “Schnittchenkauf” zu schreiben. In Brechts “Messingkauf” äußert die Figur des Philosophen bestimmte Ansprüche ans Theater, die jetzt im “Schnittchenkauf” wieder vom Theater zurückverlangt werden. Ja, es waren gerade die Philosophen, die uns aufforderten, die ihnen von Brecht zugeschriebenen Ansprüche, wieder zurückzuverlangen. “Der Schnittchenkauf” ist Theorie, die ohne den Widerstreit von Meinungen auskommt. Dialoge können nämlich leicht missverstanden werden. Dauernd sagen sie “Philosoph”, “Schauspieler”, “Dramaturg”, “Feldwebel”. Aber wir halten uns lieber an Brechts Lehrstücke. Bis hier hin, also bis zu diesem Buch, gab es die Interviews, in denen man diese Dinge sehr gut veröffentlichen konnte. Dinge, die der Theaterabend über die Praxis der Beteiligten dann doch nicht sagen kann, obwohl meiner Meinung nach vieles an ihm abzulesen ist. Ich finde zum Beispiel, man sieht bei uns sehr gut, dass der erste Autor unserer Abende der Bühnenbildner ist, das heißt, der erste Text, der uns vorliegt, ist das Bühnenbild. Bei uns ist der Bühnenbildner jedenfalls nicht länger Dienstleister an einer Vorlage. Der in Bertolt Brechts “Messingkauf” auf die Bühne gezerrte Philosoph denkt aber leider noch, der Regisseur und der Autor hätten am Bühnenbild mitgeschrieben. Ich kenne sogar Regisseure, die sagen einem unbedingt als erstes, wenn nach einer Premiere besonders das Bühnenbild gelobt wurde, dass sie daran mitgewirkt hätten.Wenn Regisseure nach einer Premiere einer Schauspielerin auf Knien die Hand küssen, heißt das nicht “danke”, sondern: “Du bist mein Geschöpf”. Das liegt an den Theaterräumen, in denen es nicht nur zieht, sondern in denen auch ein unendlicher Flirtkäse in der Luft hängt. Ich habe vor kurzem einen Videotrailer gesehen, den ein Theater ins Netz gestellt hat. Er zeigt den Schauspieler während einer öffentlichen Probe. Und gleich darauf den befreundeten Regisseur des Abends, der ihm während eines engagierten Vortrags das Mikrophon reicht, mit einer Geste, die sagt, “man hört dich nicht so gut, ich pass auf dich auf, ich liebe dich”. Diese Freundschaftsgeste vernichtet ihn. Das ist vielleicht das Gesicht der Liebe. Viele Regisseure beziehen sich auf diesen Flirt, der in der Luft liegt, und der immer zu Ungunsten der Schauspieler ausgeht. Die Frage “Haben Sie den Text für die Schauspielerin X oder den Schauspieler Y geschrieben?” folgt sofort auf die Veröffentlichung unserer Praxis, dass der Text nicht nachgespielt wird, bei den Proben entsteht, überhaupt erst mit der Besetzung zustande kommt. Man kennt anscheinend nur Schauspieler, die etwas entgegenzunehmen haben.Ein Schauspieler sagte in einem Interview, er sei kein Kraftwerk der Gefühle. Veröffentlicht wurde aber: “Ich bin ein Kraftwerk der Gefühle.” Eine Schauspielerin sprach in einem Interview über das Denken, und veröffentlicht wurde: “Sie sagt, was sie denkt.”Der “Schnittchenkauf” jetzt also.Zum Schluss noch ein Zitat aus dem “Messingkauf”. Der Dramaturg sagt da zum Philosophen: “Du hast noch kein Wort dazu gesagt, als ich dich fragte, warum du zu uns ins Theater kommst.” Und aus dem “Schnittchenkauf”: “Aber das hier ist kein Theater.”
Das Buch Der Schnittchenkauf 2011-2012 von René Pollesch, das dieser Inszenierung als textliche Grundlage dient, erschien anlässlich der Ausstellung René Pollesch: Der Dialog ist ein unverständlicher Klassiker, die vom 16. Dezember 2011 bis 4. Februar 2012 in der Galerie Buchholz stattfand. Der Schnittchenkauf wurde geschrieben mit Hilfe von Franz Beil, Diedrich Diederichsen, Christine Groß, GMK, Jonathan Flachmeyer, Fabian Hinrichs, Christopher Müller, Bert Neumann, Sophie Rois, Harald Schmidt, Bernhard Schütz, Martin Wuttke. Die Inszenierung Der Schnittchenkauf von René Pollesch entsteht…