Potsdamer Schrebergärten ist der Titel der fotografischen Serie des Künstlers Stan Douglas und zugleich der Titel seiner Ausstellung im MINSK Kunsthaus in Potsdam. Die Serie entstand Anfang der Neunziger Jahre in Potsdam und wird gemeinsam mit dem Film Der Sandmann (1995) gezeigt.
Im Rahmen seines einjährigen Aufenthalts mit dem DAAD in Berlin hielt Stan Douglas die Stadt Potsdam unmittelbar nach der Wende dokumentarisch fest: Sacrow, die Gegend um Sanssouci oder auch die Siedlung am Schlaatz. Diese Serie der Potsdamer Schrebergärten (1994/95) hält Momente des Übergangs fest: eine verlassene Datscha; einen ehemaligen Mauerzaun; mittlerweile verschwundene Gärten; einen Trabbi, geparkt vor einer Kleingartenanlage. In dieser frühen Serie lässt sich bereits ein Thema erkennen, das Stan Douglas auch in späteren Fotografien beschäftigt: Wie Städte sich im Laufe der Zeit verändern, wie Geschichte ihre Spuren im Stadtbild hinterlässt, sei es in Detroit oder Vancouver oder eben in Potsdam. Nachdem er die Fotografien in den Schrebergärten aufgenommen hatte, die wie eine typologische Studie wirken, baute Douglas im Filmstudio in Babelsberg die Schrebergärten nach, um sie zu filmen, so dass der Garten, wenn auch nachgebaut, zum Ort der künstlerischen Produktion wird.
Der Film Der Sandmann besteht aus einer Doppelprojektion und handelt von einem »doppelten« Garten – einem Kleingarten zu unterschiedlichen Zeiten der deutschen Geschichte, vor und nach der Wende. Der Protagonist Nathanael, ein Schwarzer Deutscher aus der ehemaligen DDR, erzählt in Briefform, wie ihn eine Erfahrung aus der Kindheit, die er in einem Schrebergarten in Potsdam machte, wieder einholt, als er den Ort des Geschehens 20 Jahre später, also nach der Wende, erneut besucht. Der Sandmann ist ein Film über Identität, zwischen Erinnerung und Verdrängung, und es ist ein Film über Doppelgänger, auch in der deutsch-deutschen Geschichte.
In Douglas’ Werken geht es oft um »lokale Symptome für globale Zustände«. Der Künstler ist der Überzeugung, dass etwas umso allgemeingültiger wird, je spezifischer man ist. Douglas interessiert sich für sogenannte »marginale Geschichten« (minor histories). Vielfach bilden diese den Ausgangspunkt, von dem aus er andere Verläufe der Geschichte entwirft. So verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Seine Werke liefern weniger Antworten, als dass sie Fragen an die Geschichte mit ihren Widersprüchen und ihren blinden Flecken aufwerfen.
Dass Douglas seinen Film Der Sandmann in den ehemaligen DEFA-Studios in Babelsberg aufgenommen hat, die ihre eigene Geschichte der Teilung, Vereinigung und Privatisierung haben, ist nur eine der vielen Ebenen und Referenzen, die in dieser Ausstellung zusammenkommen. Ironischerweise bringt der Künstler aus Vancouver den lokalen Bezug. Sowohl der Film als auch die fotografische Serie werden erstmalig in Potsdam, dem Ort ihrer Entstehung, präsentiert. Douglas taucht tief in der lokalen historischen Recherche ein, doch Der Sandmann und die Potsdamer Schrebergärten sind nicht nur Werke über Potsdam und die Wiedervereinigung. Es sind Werke über ungelöste Momente der Geschichte, deren Konsequenzen bis heute spürbar sind.
Stan Douglas, geboren 1960 in Vancouver, ist bildender Künstler. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter zeitbasierter Medienkunst. Seine Filme und Fotografien sind seit den frühen 1980er-Jahren Teil internationaler Ausstellungen, darunter die Documenta IX, X und XI (1992, 1997, 2002) sowie fünf Biennalen von Venedig (1990, 2001, 2005, 2019 und 2022). 2022 vertritt er Kanada auf der Biennale von Venedig. Er lebt und arbeitet in Vancouver und Los Angeles.
[1] Stan Douglas, Vortrag, The Cooper Union: Public Arts Fund Talks, 28.1.2021. Douglas hielt diesen Vortrag anlässlich der Enthüllung seiner Installation an der Penn Station, New York.