Im antiken Drama war der Chor zentrales Element auf dem Theater – in Dramen und Aufführungen fand er seinen Platz meist zwischen den Protagonist*innen und dem Publikum. Mit der Entwicklung des Theaters der Neuzeit verschwand er von den Bühnen und mit ihm die Stimme, die kommentierte, und kontextualisierte oder – wie Roland Barthes schreibt – das “fragende Element”. Chöre des Spekulativen stellt die Frage, was der Chor zu den Texten und Szenen der Neuzeit zu sagen, wie er sich zu ihnen verhalten hätte, wäre er nicht von ihnen ausgeschlossen worden: Wie hätte er sich positioniert zum Theater des Barock, zum Theater der Aufklärung, wie zum Theater der Nachkriegszeit? Wie hätte er diese Szenerien, die zumeist das Individuum ins Zentrum stellten, kommentiert, wie sie befragt und konterkariert, wie hätte er ihnen beigewohnt? Chöre des Spekulativen lädt ein zur Begegnung mit einem Chor, der sich spekulativ-retrospektiv, wesentlichen Stationen der Theatergeschichte annähert. Zugleich stellt das Projekt die Frage, wie eine heutig relevante Form des Chorischen aussehen kann: Ist der Chor immer eine Einheit oder kann er nicht viel eher diverse Positionen und Perspektiven in sich vereinen? Der Fokus liegt dabei auf Perspektiven der Gegenwart, acht Autor*innen aus Jordanien, Brasilien, China, der Türkei, Marokko, Burkina Faso, Griechenland und Deutschland perspektivieren ausgewählte Texte neu und erschaffen eine dekoloniale Perspektive auf das, was wir als den ‘westlichen Kanon’ bezeichnen. Die Zuschauer*innen werden im Heizhaus Teil einer szenischen Installation: Statt auf festen Plätzen zu sitzen sind sie Teil der mobilen Gemeinschaft, die ihre Perspektive selbst bestimmt und immer neu wählt. Uraufführung mit Texten von Ebru Nihan Celkan, Vinicius Jatobá, Amahl Khouri, Paul P. Zoungrana, Karima El Kharraze, deufert + plischke, Zhu Yi, Björn SC Deigner, Antigone Akgün, Sophokles, Henrik Ibsen, Jean Racine, Molière, Samuel Beckett, William Shakespeare, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller u.a.